Luxus der langsamen Fortbewegung

TRIER. Mit der Einführung der neuen Führerscheinklasse "S" wird es auf Deutschlands Straßen langsamer aber trotzdem unsicherer. Denn Tüv- und Dekra-Siegel brauchen die neuen Fahrzeuge nicht.

"A unbeschränkt", "C1E", "DE", "T" oder vielleicht doch "A beschränkt"? - Was sich liest wie ein Auszug aus der Spenderkartei einer Blutbank, soll ab kommendem Jahr um eine weitere Spezifizierung reicher werden. 17 Führerscheinklassen - plus Mofa-Prüfbescheinigung - gibt es derzeit in Deutschland, die regeln, wer welches Fahrzeug mit wie vielen Personen oder mit Anhänger fahren darf. Mit der Klasse "S", die ab Februar 2005 kommen wird, beginnt auf Deutschlands Straßen eine neue Ära, nämlich die der bis zu 45 Stundenkilometer schnellen Vierräder - eine Regelung, die nicht aus ihrer Notwendigkeit heraus entstanden ist, sondern durch viel Lobby-Arbeit einer Industrie. Nachdem die so genannten "Krankenfahrstühle" in der Vergangenheit auch des öfteren von gesunden Verkehrsteilnehmern missbraucht wurden, gibt es für diese Vehikel-Gattung seit 1999 eine drastische Beschränkung, so dass sie maximal eine - körperbehinderte - Person mit höchstens 25 Stundenkilometern fahren darf. Seitdem klafft in Deutschland eine große Marktlücke zwischen Krankenfahrstühlen und herkömmlichen Autos, die durch Hersteller von Mini-Autos gefüllt werden soll. Mit dem Führerschein S, der bereits mit 16 Jahren gemacht werden kann, dürfen dann sämtliche Leichtkraftfahrzeuge bewegt werden, also Fahrzeuge, die nicht schneller als 45 Stundenkilometer fahren, drei oder vier Räder haben und höchstens 350 Kilogramm wiegen. Ein Beifahrer darf auch noch mit. Dazu gehören auch "Quads" - eine Art Moped mit vier Rädern -, die bislang nur mit PKW-Führerschein gefahren werden dürfen. Das Gefährliche an diesen Freizeitfahrzeugen ist zum einen ihr hoher Schwerpunkt, der die Straßenlage beeinflusst, und zum anderen die Tatsache, dass es keine Helmpflicht gibt. Denn obwohl Quads fürs Gelände konzipiert sind, sind sie auch auf Straßen zulässig, befördern Fahrer, die oft über wenig Erfahrung verfügen.Helmpflicht und Standards gefordert

Die Dekra hat mehrere der Fahrzeuge Crashtests unterzogen und fordert deshalb Helmpflicht für Quads und eine Definition von technischen Mindeststandards für das Zulassungsverfahren. Standards, die für die Quads der Klasse S nur bedingt gelten, denn wie die übrigen 45-Kilometer-Autos brauchen sie weder Zulassung noch Tüv- oder Dekra-Untersuchung. Auch die Bundesanstalt für Straßenwesen ist nicht froh über die Einführung der neuen "S"-Klasse. Zwar gleicht das äußere Erscheinungsbild der Mini-Autos denen von Kleinwagen - in punkto Sicherheit gibt es aber deutliche Unterschiede, angefangen bei der wenig Schutz bietenden Kunststoff-Karosserie bis hin zu lebensgefährlichen Verletzungen, die schon bei einem Frontalunfall mit geringer Geschwindigkeit passieren können. Ginge es nach der Bundesanstalt für Straßenwesen, so müssten diese Fahrzeuge ebenfalls der technischen Überwachung von Tüv und Dekra unterzogen werden. Auch der Einführung des neuen Führerscheins steht sie skeptisch gegenüber. Dass die Klasse für Leichtkraftfahrzeuge dennoch in einem halben Jahr eingeführt wird, liegt nicht an der Bundesregierung, sondern an der EU-Kommission, die bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik einleiten ließ. Die europäische Vereinigung der Leichtkraftfahrzeuge hatte sich beschwert, dass das bisherige Führerscheinrecht in Deutschland ein "unzulässiges Handelshemmnis" sei und den Verkauf von Leichtfkraftfahrzeugen erschwere. Ein Hindernis haben die Hersteller der Mini-Autos damit beseitigt, bleibt nur noch die Hürde für den Käufer. Der spart im Gegensatz zum herkömmlichen Auto Steuern und einiges an Versicherungskosten, doch wirklich billig ist der zeitintensive Fahrspaß nicht. Denn die Leichtkraftfahrzeuge ähneln den technisch überlegenen Kleinwagen nicht nur in der Optik, sondern auch im Preis. 11 000 Euro für einen Plastik-Flitzer sind keine Seltenheit. Metallic-Lackierung gegen Auf preis.

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