Unbefristeter Streik in Kitas rückt näher

Trier · Großeltern verpflichten, Nachbarn einspannen oder Urlaub nehmen: Viele Eltern - auch in der Region Trier - müssen sich wohl ab der kommenden Woche um eine alternative Kinderbetreuung kümmern. Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen hat die Gewerkschaft Verdi zur Urabstimmung über unbefristete Streiks in Kitas aufgerufen. Und die Chancen dafür steigen.

 Antje Koch und Thorsten Servatius von Verdi Trier (von links) sammeln in der Kindertagesstätte Köwerich bei Erzieherin Denise Orr den Stimmzettel zur Urabstimmung über einen unbefristeten Streik ein. Foto: privat

Antje Koch und Thorsten Servatius von Verdi Trier (von links) sammeln in der Kindertagesstätte Köwerich bei Erzieherin Denise Orr den Stimmzettel zur Urabstimmung über einen unbefristeten Streik ein. Foto: privat

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Trier. Täglich mehrfach Windeln wechseln, blutende Schrammen verarzten, Streithähne ermahnen, andere Kinder wiederum ermutigen und trösten, Kreativität fördern und fordern, geduldig Trotz ertragen und gleichzeitig liebevoll sein, das Gespräch mit den Eltern suchen, über Fortschritte und Entwicklungsverzögerungen reden und nicht zuletzt Dokumentationen über jedes Kind führen: Erzieher leisten heute einen Job, der weitaus mehr ist als nur Basteln und Singen. Frust lässt Gewerkschaft wachsen

Groß scheint der Frust bei vielen von ihnen zu sein, eine zunehmend anspruchsvolle Arbeit leisten zu müssen, auf die viele Eltern angewiesen sind, für die sie aber zu wenig anerkannt und schlecht entlohnt werden. Diesen Frust erlebt derzeit Thorsten Servatius, Gewerkschaftssekretär bei Verdi für das Gesundheitswesen und soziale Dienste in der Region Trier. Von der Eifel über Trier-Feyen bis an die Mosel nach Köwerich: Seit dem frühen Dienstagmorgen besucht er mit einer Kollegin viele der 128 kommunalen Kindertagesstätten und sozialen Einrichtungen in der Region Trier, um dort die Stimmzettel für die Urabstimmung über unbefristete Streiks bei den Gewerkschaftsmitgliedern einzusammeln (siehe Extra). Ein logistischer Kraftakt, hat Verdi doch das ambitionierte Ziel, alle Mitglieder persönlich über den Arbeitskampf abstimmen zu lassen. "Ich sehe zwar nicht auf die Stimmzettel, denn die Abstimmung ist geheim. Aber die Stimmung für unbefristete Streiks ist richtig gut", beschreibt Servatius seine Eindrücke. Viele Erzieher seien nun gar bereit, in die Gewerkschaft einzutreten. "Sie sind froh, dass sich die Gesellschaft und die Politik mit der wertvollen Arbeit im Erziehungswesen auseinandersetzen muss und der Berufsstand endlich eine Aufwertung erfährt", sagt er.Eltern werden informiert

Verdi-Fachbereichsleiter Volker Euskirchen rechnet mit einer sehr großen Zustimmung zu unbefristeten Streiks: "Es liegt nun an den Gewerkschaftsmitgliedern, die Arbeitgeber wieder an den Verhandlungstisch zu zwingen." Bis dahin müssten Eltern "ab Ende nächster Woche mit geschlossenen Kitas rechnen - auch in der Region Trier", sagt Sekretär Servatius. Die Gewerkschaft sichert zu, die Eltern frühzeitig über Schließungen zu informieren. Jetzt gelte, so Servatius, mit dem Ergebnis der Urabstimmung darüber zu entscheiden, ob es einen flächendeckenden Streik gebe oder nur in einzelnen Bundesländern, ob es Etappen geben solle oder ob alle von Beginn an in den Streik treten könnten. "Es wird jedenfalls nicht passieren, dass eine Kita bestreikt wird und die Eltern mit ihren Kindern vor verschlossener Tür stehen", sagt der Gewerkschaftssekretär. Sobald klar sei, welche Einrichtung zum Streik aufgerufen werde, würden die Eltern mit ein bis zwei Tagen Vorlauf darüber informiert. Extra

Wann müssen Eltern ihrem Chef Bescheid geben? Am besten so schnell wie möglich. Zeichnet sich ab, dass keine Oma, Nachbarin oder Freunde aufs Kind aufpassen können, sollten Arbeitnehmer ihren Vorgesetzten anrufen und erklären, warum sie nicht kommen können. Darauf weist der Arbeitsrechtler Andreas von Medem hin. In diesem Fall dürfen sie bei der Arbeit fehlen. Kann das arbeitsrechtliche Konsequenzen haben? Können Eltern wegen streikender Erzieher nicht zur Arbeit kommen, müssen sie nicht mit einer Kündigung oder Abmahnung rechnen. Vor allem bei kleinen Kindern ist es unrealistisch, diese für den ganzen Tag alleine zu Hause zu lassen. Was ist mit dem Gehalt? Eltern haben Anspruch auf Lohnfortzahlung für den Fehltag - vorausgesetzt, der Streik wird kurzfristig angekündigt. So steht es im Paragraf 616 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Er besagt, dass Arbeitnehmer diesen Anspruch behalten, wenn sie ohne eigenes Verschulden durch ein unvorhergesehenes Ereignis verhindert sind. Kurzfristig wäre ein Streik beispielsweise, wenn an einem Freitag ein Streik für Dienstag angekündigt wird. Ziehen sich die Streiks aber über einen längeren Zeitraum hin, greift die Begründung "kurzfristig" laut von Medem nicht mehr. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hatte außerdem angekündigt, Eltern frühzeitig über die Schließung zu informieren. dpaExtra

Am Montagabend hatte die Gewerkschaft Verdi die Tarifverhandlungen für die bundesweit 240 000 Erzieher und Sozialarbeiter nach fünf ergebnislosen Verhandlungsrunden und mehreren Warnstreiks für gescheitert erklärt. Seit Dienstagmorgen, 8 Uhr, sind nun alle Gewerkschaftsmitglieder zur Urabstimmung aufgefordert. Die Abstimmung könnte noch mehrere Tage dauern, da Verdi anstrebt, alle Mitglieder persönlich abstimmen zu lassen. Stimmen bundesweit drei Viertel aller Gewerkschaftsmitglieder für unbefristete Streiks, könnten zum Ende nächster Woche die ersten Kitas zum unbefristeten Streik aufgerufen werden und geschlossen sein. Die Gewerkschaften Verdi, GEW und dbb fordern eine höhere Eingruppierung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Das würde im Durchschnitt zu Einkommensverbesserungen von rund zehn Prozent führen. Derzeit liegen die Erziehergehälter zwischen 2367 und 3289 Euro brutto pro Monat. Die Arbeitgeber halten die Lohnerhöhungen für nicht bezahlbar und rechnen mit Mehrkosten von rund 1,2 Milliarden Euro. Sie werfen den Gewerkschaften mangelnde Kompromissbereitschaft vor. sas

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