Knipst die Bahn das Licht aus?

Berlin · Die Vorstellung, abends im Zug einzuschlafen und morgens am Ziel in einer fremden Stadt aufzuwachen, entbehrt nicht einer gewissen Romantik. Nachtzüge sollen eine besondere, entschleunigte Art des Reisens bieten. Der Konzern denkt betriebswirtschaftlich: Das Angebot von Nacht- und Autoreisezügen soll radikal eingestampft, womöglich gänzlich eingestellt werden.

Berlin. Berufspendler nutzen sie, Urlauber mit viel Gepäck, Familien, Senioren, auch Menschen, die Flugangst haben - für solche Reisenden sind die Züge der bisher 17 "City-Night-Line"-Verbindungen mit Schlaf- und Liegewagen gedacht. Man kann sogar nächtens nach Kopenhagen, Amsterdam oder Paris fahren. Noch. Denn auch diese Strecken sollen eingestellt werden. Während im Unternehmen das Wort vom "Verlustbringer" zu hören ist, halten die Gegner der Abschaffung dagegen: Allein 1,5 Millionen Fahrgäste hätten im vergangenen Jahr die Nachtzüge genutzt, 300 000 die Autozüge, so Joachim Holstein, Betriebsrat bei der Bahn. Dem Umsatz von 120 Millionen Euro stünden Kosten von 110 Millionen Euro gegenüber.
Es stimme also nicht, dass das Angebot bei den Kunden ein Auslaufmodell sei. Die Gewerkschaften sorgen sich vor allem um den weiteren Jobabbau in dieser Sparte - insgesamt sollen durch die Streichpläne rund 1000 Stellen auf dem Spiel stehen. Selbst wenn die Züge defizitär seien, ergänzte Holstein, müsse man die Bahn als Gesamtsystem sehen, in dem einzelne Sparten kleine Defizite der anderen ausgleichen könnten. Für die Initiatoren ist zudem klar: Es gibt zwar immer wieder Klagen über mangelnde Pünktlichkeit und Qualität, aber die meisten Kunden der rollenden Hotels sind Stammkunden. Nur die wenigsten werden einen anderen Zug nutzen, wenn der Nachtzug wegfällt. Diese Menschen seien dann für die Schiene verloren, so der bahnpolitische Sprecher der Grünen, Matthias Gastel. Hinzu kommt: Der Umstieg aufs Flugzeug oder aufs Auto sei auch klimapolitisch ein herber Rückschlag, meinte die Linken Verkehrsexpertin Sabine Leidig.
Außerdem gehe es darum, so Leidig, "eine Kultur des Reisens zu erhalten". Nachtzüge gibt es in Deutschland seit 162 Jahren, Autozüge seit fast 80 Jahren. Heute wird der Bundestag einen Antrag der Linken beraten, in dem gefordert wird, der Bund möge als alleiniger Eigentümer die Bahn dazu bringen, dass die in diesem Jahr bereits vollzogenen Kürzungen bei Auto- und Nachtzügen zurückgenommen werden. Stattdessen soll ein zweijähriges Moratorium gelten, in dem Alternativen geprüft werden könnten. Auch, wie ein europäisches Nachtzugsystem aufgebaut werden kann. Die Fußball-EM 2020, die in 13 Ländern stattfinden wird, soll dabei Zielmarke sein, um Nachtzüge als Alternative zum Flugzeug zu etablieren.
Gestern wurden der Bahn am Berliner Potsdamer Platz 7000 Protestpostkarten von Kunden übergeben, dazu fünf Petitionen mit 13 000 Unterschriften zum Erhalt der Nachtzüge. Das Unternehmen betonte, das Angebot nicht komplett einstellen zu wollen. Man plane, ein kostendeckend betreibbares Netz zu formen. Dafür müsste die Bahn allerdings kräftig investieren. Es gebe vor allem bei den Schlaf- und Liegewagen erheblichen Sanierungsbedarf, so Gewerkschafter Holstein.
Die Hoffnung aufgegeben hat er noch nicht. Es gebe entsprechende "Signale" seitens der Bahn.Meinung

Falsche Prioritäten
Typisch Bahn. Der Konzern muss aufpassen, dass er den Blick aufs Wesentliche nicht verliert und seine Prioritäten immer weiter in die falsche Richtung verschiebt. Das Wesentliche ist - wer hätte das gedacht - nach wie vor der Kunde. Die mögliche Abschaffung der Nacht- und Autozüge ist so eine Prioritätenverschiebung. Denn zweifellos ist der Bedarf da, viele Menschen nutzen die Offerte - trotz Flugverkehrs und der Fernbuslinien. Und zwar nicht aus nostalgischen oder romantischen Gründen. Sondern bewusst, um angenehmer zu reisen, um am Ankunftsort ausgeruht zu sein. Vielleicht meiden sie den Flieger, um das Klima zu schonen. Vor vier Jahren, als der Autozug seinen 80. Geburtstag feierte, ließ Bahnchef Rüdiger Grube noch wissen, man liege mit dem Angebot voll im Trend des neuen Umweltbewusstseins. Das soll heute nicht mehr gelten? Kaum zu glauben. Die Bahn hat ohnehin ein Serviceproblem. In der Fläche hat sie abgebaut und an Attraktivität verloren. Im Fernverkehr kratzen Pannenzüge, hohe Preise und Verspätungen am Image des Unternehmens. Damit die Bahn eine Kundenbahn bleibt, gehört der Erhalt des Nacht- und Autozug-Angebots aber dazu. nachrichten.red.@volksfreund.de

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