Kreisweit droht Kollaps der Ärzteversorgung

Bernkastel-Wittlich · Immer mehr Landarztpraxen im Kreis Bernkastel-Wittlich schließen, weil sie keine Nachfolger finden. Für den gesamten Kreis gilt: Bis 2020 geht 52 Prozent der Hausärzte in den Ruhestand. Nachfolger sind, wenn überhaupt, nur schwer zu finden, vor allem auf den Dörfern. Die Situation in der Stadt Wittlich zeigt den allgemeinen Trend, sich lieber in Städten niederzulassen: Hier praktizieren 18 Hausärzte.

 Hausärzte wie Marc Guérin in Hetzerath werden demnächst auf dem Land immer seltener. TV-Foto: Sybille Schönhofen

Hausärzte wie Marc Guérin in Hetzerath werden demnächst auf dem Land immer seltener. TV-Foto: Sybille Schönhofen

Bernkastel-Wittlich. Ärzte auf dem Land werden seltener. Das betrifft nicht nur den Bereich Mosel und Hunsrück . Die medizinische Versorgung droht im gesamten Kreisgebiet zusammenzubrechen.
Die Bedarfsplanungsrichtlinie der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sieht eine Ärztedichte von einem Hausarzt auf 1671 Einwohner vor. Außer im sogenannten "Mittelbereich Wittlich" (Stadt Wittlich mit den Verbandsgemeinden Wittlich-Land und Manderscheid), wo noch 2,5 Sitze für Hausärzte frei sind, ist die Sollzahl laut KV in den Planungsbereichen aktuell nicht unterschritten.
Beginnendes Problem


Noch nicht. Denn das Problem liegt in der Zukunft. Das räumt auch die KV ein: "Wir befinden uns am Anfang eines größeren Versorgungsproblems", kündigt Sprecher Rainer Saurwein an. Ein Blick auf die Altersstruktur der Ärzte im Kreisgebiet zeigt: Etwa die Hälfte der 75 Hausärzte im Kreis ist 60 Jahre alt und älter. Bis 2020 rechnet die KV damit, dass 52 Prozent der Hausarzt-Praxen im Kreis einen Nachfolger suchen.
Wie schwierig es ist, einen Nachfolger zu finden, hat Hausarzt Marc Guérin aus Hetzerath herausgefunden. Vor zwei Jahren hat er seine Praxis versuchsweise zweimal zum Verkauf inseriert. "Es gab nicht einen Interessenten", sagt der 56-Jährige und stellt gleich klar, dass er auf jeden Fall bis zur Rente bleiben wird. Er weiß, warum Arztpraxen auf dem Land beim Nachwuchs so unbeliebt sind: 150 000 Euro benötigtes Startkapital stehen einem hohen finanziellen Risiko gegenüber: Auf dem Land gibt es weniger Privatpatienten, dafür aber viele alte Menschen, die viele teure Medikamente benötigten. Für den Arzt bedeute das drohende Regresse. Die Budgetierung bringe es zudem mit sich, dass der Arzt ab dem dritten Patientenbesuch pro Quartal seine Arbeit umsonst verrichten müsse und die weiten Anfahrtswege nicht mehr erstattet bekomme, so Guérin. "Die Divergenz zwischen den Kosten und dem Honorar ist zu groß", kritisiert Marc Guérin die Folgen der Gesundheitspolitik.
Um die Landärzte in ihren Notdiensten zu entlasten, führt die KV zum 20. September eine Bereitschaftsdienstzentrale für den Kreis Bernkastel-Wittlich am Wittlicher Krankenhaus ein. Viele Ärzte sehen darin eher eine zusätzliche Belastung durch weitere Anfahrtswege.
Die Belastung nimmt auch durch steigende Patientenzahlen zu. In der Praxis von Dr. Karl-Günter Kirsch in Kues ist die Scheinzahl aufgrund von Praxisschließungen in der Umgebung von 1300 auf 1700 gestiegen. Kirsch selber ist 63 Jahre alt, der Ruhestand in greifbarer Nähe. "Meine Patienten haben Angst und fragen sich, was sie machen sollen, wenn ich schließe."
Manche Kommune versucht gegenzusteuern. Bernkastels Bürgermeister Wolfgang Port hat Gespräche mit der Netzpraxis Mittelmosel, einem Verbund niedergelassener Haus- und Fachärzte, aufgenommen. Er weiß warum: "Wir sitzen auf einem angesägten Ast, der jederzeit abbrechen könnte."Extra

"Wir können nicht generell sagen, dass der Landkreis über- oder unterversorgt ist. Diese Betrachtung muss differenziert nach Fachgebieten und Planungsbereichen erfolgen", so KV-Sprecher Rainer Saurwein. Doch eine einfache Rechnung zeigt zumindest, dass die Zahlen im Durchschnitt besser sind als vorgeschrieben: Im Kreis Bernkastel-Wittlich gibt es 75 niedergelassene Hausärzte. Im Durchschnitt kommt also kreisweit bei 110 955 Bürgern (ermittelt im Zensus 2011) auf 1479 Einwohner ein Hausarzt. Die Sollzahl liegt bei einem Arzt pro 1671 Einwohner. Während es in vielen Gemeinden keinen Arzt gibt, sind im Stadtgebiet Wittlich 18 Hausärzte niedergelassen. Hier kommt auf 1058 Einwohner ein Hausarzt. Ein Indiz dafür, dass Ärzte sich lieber in Städten niederlassen. Kreisweit verfügen von den 107 Gemeinden nur 23 über einen oder mehrere niedergelassene Hausärzte. Aus der Statistik der KV ergibt sich, dass bis 2020 kreisweit 39 Hausärzte nachbesetzt werden müssen. sys

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