Lyrik einer traurigen Autorin

Zu einer besonderen Lesung hatte die Stadtbücherei Wittlich im Rahmen der Veranstaltungsreihe "70 Jahre ,Reichskristallnacht´" eingeladen. Im Mittelpunkt des Abends standen Gedichte der Jüdin Selma Meerbaum-Eisinger, die 1942 mit 18 Jahren im Arbeitslager starb. Mit einer sehr zurückhaltenden Inszenierung schufen Anne Kaftan (Saxofon und Bassklarinette) und Manuel Klein eine Atmosphäre, die jeden der rund 60 Zuhörer im Haus der Jugend in ihren Bann zog.

Wittlich. Es gab keine langen Vorreden und keine Begrüßung, bevor Manuel Klein mit der Rezitation der Gedichte von Selma Meerbaum-Eiseinger begann. Das Programm, das jeder Gast im Haus der Jugend ausgehändigt bekam, erklärte es: Man wolle die Gedichte ganz unvoreingenommen auf das Publikum wirken lassen. Dieser Wirkung konnte sich dann wohl auch niemand entziehen. Mit sparsamer Gestik, eher wie zufällig an die Wand gelehnt oder auf dem Tisch sitzend, sprach Klein mit ruhiger Stimme die Gedichte. Die Texte nahmen das Publikum mit in die Gefühlswelt einer Frau, deren jugendliche Lebenslust durch die äußeren Umstände und Bedrohung gedämpft wird.

Dabei fing es eigentlich mit einem recht positiven Gedicht an. Darin singt die junge Autorin den gelben Astern ein Lied. "Ich leg ihnen mein Lied zu Füßen hin, weil sei mir eine Freude heute bereitet." Doch waren eher traurige Motive in ihren Gedichten vorherrschend. "Herbst", "Trauer", "Regen", "Tränenhalsband" oder "welke Blätter", diese Gedichte wiesen schon mit ihrem Namen auf einen eher schwermütigen Inhalt hin. Andere Gedichttitel wie "Wiegenlied" lenkten die Zuhörer erst einmal auf eine falsche Fährte. Es ist ein verzweifelter Text, in dem es um den Vater und sein ungewisses Schicksal im Krieg geht. Also Inhalte, die eher Alpträumen als ruhigen Schlaf hervorrufen.

Anne Kaftan spielte ihr Saxofon mal zwischen den Beiträgen von Manuel Klein, mal begleitend. Einige wenige Gedichte waren als Lied vertont.

Während der ganzen Vorstellung lenkte nichts Überflüssiges vom Thema ab. Das Bühnenbild war spartanisch. Gearbeitet wurde dagegen mit dem Licht. Beim Gedicht "Spätnachmittag" wurde es immer dunkler im Saal. Die anschließende Rezitation "Poem" fand in fast völliger Dunkelheit statt, was eine geradezu beklemmende Atmosphäre schaffte.

Zum Ende der Aufführung applaudierte das Publikum so begeistert, dass das Künstlerduo erst nach etlichen "Vorhängen" die Bühne verlassen konnte. Bei Gesprächen ließen Publikum und Organisatoren den Abend ausklingen und das Gehörte auf sich wirken.

EXTRA Selma Meerbaum-Eisinger wurde 1924 im Czernowitz in der Ukraine geboren. Sie begann 1939 Gedichte zu schreiben. Die Zeit, in der sie schreiben konnte, war jedoch knapp bemessen. In ihren letzten Lebensjahren lebte die Jüdin im Ghetto, später wurde sie in ein Konzentrationslager deportiert. Sie starb am 16. Dezember 1942 an Typhus. Selma Meerbaum-Eisinger hinterließ 57 Gedichte, zusammengefasst in einem Band mit dem Titel "Blütenlese". 1980 wurden die Gedichte erstmals in der Bundesrepublik veröffentlicht unter dem Titel "Ich bin in Sehnsucht eingehüllt bei Hoffmann und Campe". (noj)

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