Nadelhexe und Kittel

Rund 40 Marktbeschicker bauen immer am ersten Freitag im Monat in Wittlich ihre kleine Stand-Stadt auf. Anders als in traditionellen Marktorten ist die kleine "Städestadt" in Wittlichs Zentrum eine Neugründung.

Wittlich. Es gibt Städte, die blicken auf eine jahrhunderte alte Marktradition, meistens zur Kirmes, zurück, etwa Mayen. Wittlich ist ein Sonderfall. Dort wurde erst vor einem Viertel Jahrhundert gemeinsam mit der Stadtverwaltung ein Monatsmarkt begründet. "Wittlich ist darin eine rühmliche Ausnahme und zum Erfolgserlebnis für Besucher wie Beschicker geworden", sagt auch Peter Brämisch, "Chef" der Marktkaufleute. Auf die Frage nach der Zukunft dieser speziellen Vertriebsform, sagt er: "Solange die Marktkaufleute selbst verantwortlich sind wie in Wittlich, sehe ich ausreichende Zukunftschancen, um eine Lücke zwischen den Discountern und der grünen Wiese in Verbindung mit dem stationären Einzelhandel zu schließen und so Kaufkraft zu binden." So sieht man denn am Markttag auch überdurchschnittlich viele Menschen in der Stadt. Und sie tragen neben den üblichen Taschen auch die gelben Tüten der Marktkaufleute. "Ich bin in Wittlich, weil heute Markt ist", meint denn auch eine Frau, die zwischen Hut- und Strümpfestand durch die Stadt flaniert.Der Standort ist extrem wichtig

"Wittlich ist zweifellos mit der beste Standort in der Eifel", sagt Gerd Esch, Textilvertrieb: "Er wird von der Bevölkerung angenommen. Wir hoffen, dass die Struktur so bleiben kann, denn der Standort ist extrem wichtig." Er macht auch deutlich: "Wir wollen keine Konkurrenz zum Einzelhandel sein, sondern die Lücke schließen. Bei mir gibt es noch die graue, lange Unterhose, auch im Sommer." Hinzu komme die Besonderheit: "Ich drehe mich um, schon bin ich im nächsten Geschäft." Zum Beispiel bei Lederwaren Isack-Sturm. Seit über 20 Jahren fährt Karin Isack-Sturm, 135 Kilometer vom Westerwald nach Wittlich. "Ich lebe auf dem Dorf und habe auch noch ein Geschäft. Ich brauche das einfach, unter Menschen zu sein und habe in Wittlich viel Stammkunden", sagt sie. Neben ihr hängt ein Aufkleber: "Ich liebe den Markt". Und das liegt im Familienblut: "Vor 80 Jahren begann mein Großvater damit, mit dem Rad auf Märkte zu fahren. Abends ist er los. Er hatte, was die Bauern brauchten: Ackerleinen, also Seile, Kälberstricke, Kuhketten, auch zwei Aktentaschen, zwei, drei Portmonees", sagt die Enkelin. Als Erinnerungsstück besitzt sie noch eine Handtasche ihrer Oma: "Die wollte mir schon ein Lederwarenmuseum abschwätzen, aber die bekommt keiner." Dabei hat sie Taschen genug. Sie hängen links, rechts, oben am Stand, und auch die Portmonees sind geblieben. Eine ältere Dame tauscht gerade eins um. Kein Problem, auch ohne Kassenbon, denn die Marktkaufleute kennen ihre Ware. "Dass wir verlässlich monatlich hier sind, ist wichtig. Man kann dem Kunden sagen: Sie können wiederkommen und alles umtauschen. Es wird ja besonders von älteren Besuchern viel für andere gekauft", erklärt Karin Isack-Sturm. Und sie weiß: "Die persönliche Beratung ist das A und O, genauso wie im Laden. Ich kenne ja die Geschäfts- und die Marktinteressen, ich bin ja selbst im Vorsitz eines Gewerbevereins. Auch als Geschäftsfrau stehe ich hinter dem Markt: Man merkt, die Stadt ist ganz anders belebt. Das zieht Leute. Und als Marktbeschicker kaufe ich auch in Wittlich. Für Bekleidung gibt es hier sehr gute Geschäfte."Weißer Stein bis Wunderblock

Und die können nicht alles führen. Etwa den legendären Gemüse-Hobel aus Landscheid, der ausschließlich auf Märkten verkauft wird. Oder die ganz besondere Kittelschürze und naturgemäß reine Marktspezialitäten: die Nadelhexe (zum Einfädeln), den weißen Stein (Putzmittel), den Dauerfilter (Kaffee), den Wunderblock (Schwamm) oder den kleinsten Staubsauger der Welt. Dieses Plastikkästchen mit drehbarer Bürste gibt es immer noch. Kleinster Staubsauger klingt natürlich besser.Wittlicher Monatsmarkt ist wieder am Freitag, 4. Mai.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort