Rendezvous mit dem Ich

Die Stiftung Stadt Wittlich hat 2006 den Georg-Meistermann-Preis verliehen. Er ging posthum an Johannes Rau. Seine Frau Christina ermöglicht der Wittlicher Künstlerin Senne Simon mit dem Preisgeld ab 17. September ein einmonatiges Stipendium im Künstlerdorf Schöppingen.

 Senne Simon freut sich auf Schöppingen. TV-Foto: Sonja Sünnen

Senne Simon freut sich auf Schöppingen. TV-Foto: Sonja Sünnen

Wittlich. "Bildende Künstler und Autoren brauchen einen Ort, an dem sie für einen bestimmten Zeitraum ungestört und weitgehend frei von materiellen Sorgen an ihren Projekten arbeiten können. Ein solches Refugium ist das Künstlerdorf Schöppingen" - so beschreibt die Einrichtung nahe Münster ihre Idee. Christina Rau, Vorsitzende des Stiftungsrates, hat nach der Georg-Meistermann-Preis-Verleihung dort ein Gast-Stipendium für Wittlicher ausgelobt. Die Jury entschied sich für Senne Simon, die zuletzt 2004 in Wittlich ausstellte und deren Kreisel im Stadtpark (1989) fast jeder kennt. Beworben hat sie sich unter anderem mit Arbeiten ihrer Porträt-Serie. "Die Auswahl ist mir schwer gefallen, weil ich sie alle mag", sagt sie, "aber damit konnte ich auch Wittlicher zeigen, was mir wichtig war." In den mittlerweile 33 Porträts gibt sie eine psychologisierende Beschreibung von Freunden und Bekannten ab. Passbilder mit Erzählcharakter

Sie schafft sie neu, als interpretierende Vorstellung von Persönlichkeit und Körperlichkeit, die, anders als ein Foto, eben nicht einem vergangenen Moment verhaftet ist. Und obwohl ein Porträt in seiner Frontalität dem Betrachter einerseits die Stirn bietet, andererseits auch eine Persönlichkeit offen bloßstellt, ist das gemalte Rendezvous der Porträtierten mit Senne Simon kein "Zur-Schau-Stellen". Die künstlerische Aneignung, durchaus Traditionen der Gattung Porträt zitierend, wird zum Schutzschild. Senne Simon schickt ihre "Geschichte eines Ichs", wobei das reine Antlitz präzise wiedererkennbar und damit unangetastet bleibt, in die Welt. Ihre Porträts sind wie Passbilder mit Erzählcharakter. Sie setzt zu der exakt wiedergegebenen Biometrie, also der puren Oberfläche des Gesichts, eine neue Biografie im Bild: Durch erzählende Attribute, etwa Kleidung, deren Verweischarakter jenseits der Individualität eine allgemein verständliche Lesbarkeit anbietet. In Schöppingen will Senne Simon ebenfalls an einer Lebensbeschreibung, einem Selbstporträt, arbeiten. Zwei gibt es bereits. Eins heißt: "haahhhiiii": Es ist eine Polyesterplastik, die die Künstlerin im angrifflustigen Karatesprung wie eine kurz lebendig gewordene und dann "eingefrorene" Comicfigur zeigt. "Sich selbst - aber anders" Gestalt geben, das soll nun im Künstlerdorf Ziel sein. Sie hat also dort eine Verabredung mit sich selbst. "Dieses schon ältere Projekt darf nicht in meinem Skizzenblock bleiben", sagt sie und freut sich auf das "Zeit-Geschenk": "Das ist ja Luxus und natürlich interessant, sich an einem neuen Ort, mit neuen Leuten wiederzufinden." Und wie war es, sich zu ihrer Ausstellung in Wittlich an einem bekannten Ort wiederzufinden? "Das war wichtig. Denn bei Kunst gibt es oft Berührungsängste. Die Leute trauen sich nicht, einen anzusprechen. Sie fragen höchstens, ob ich davon leben kann. Aber da war eine Art Öffnung. Jeder konnte sehen, was ich mache, mich reden hören. Dadurch wurde eine Hürde genommen", sagt Senne Simon und merkt an: "Meine Arbeiten sind ja nicht angestrengt kopflastig, ein gewisser Witz spielt auch eine Rolle. Zwar haben sie einen tieferen Sinn, aber der ist nicht vordergründig. Das Hauptthema, das muss ich nicht nach außen hängen." www.senneahoi.de; www.stiftung-kuenstlerdorf.de

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