Sprache als Dreh- und Angelpunkt der Integration

WITTLICH. Er sieht sich als Brücke zwischen den Kulturen und Religionen: Siddik Simsek stammt aus dem Südosten der Türkei und arbeitete seit 1980 Jahre als Lehrer in fünf Schulen Wittlichs.

Gemütlich ist es bei Simseks. Das kleine Haus "Zur Schweiz" ist liebevoll renoviert, den aromatischen türkischen Tee, den man rund um die Uhr trinken kann, kocht Frau Simsek laufend frisch, und auf dem Tisch hat sie Süßes und Herzhaftes arrangiert. Fingerfood heißt das zu Neudeutsch und hat in der Türkei eine lange Tradition. Vor wenigen Tagen ist Siddik Simsek in den Ruhestand verabschiedet worden. Gefeiert wurde groß und in fünf Schulen hintereinander. Muttersprachlicher Unterricht war das Fach, das er an der Dualen Oberschule in Wittlich und Wengerohr, an der Liesertalschule und in den Grundschulen Friedrichstraße und Georg Meistermann gegeben hat. Damit wurde Simsek gewissermaßen zur Institution bei den Säubrennern: Wie viele andere Lehrer hat auch er am Ende den Nachwuchs seiner Schüler aus den Anfangsjahren unterrichtet. Und damit Brücken zwischen Menschen aus dem westlichen und dem östlichen Kulturkreis, aus der christlichen und der muslimischen Welt gebaut. Nach vier Jahren in Biberach/Riss kam er 1980 an die Lieser: Tochter und Sohn sind hier aufgewachsen und leben wie die Eltern täglich den Spagat zwischen der türkischen und der deutschen Art, die Welt zu sehen. "Wir sind hier Gäste", sagt der pensionierte Lehrer mit zwei Staatsangehörigkeiten, "und waren vom ersten Tag an bemüht, die deutsche Sprache zu erlernen." Beides kennen, das Woher und das Wohin, scheint ihm der Schlüssel zur Integration. Kritisch verfolgen die Simseks die Radikalisierung in weiten Kreisen des Islams. Als sie herkamen, sagen sie, hätten die alten Frauen die Kopftücher getragen. Heute sind es oft die jungen. Natürlich, wenn es etwas zu feiern gibt, wenn sie in die Moschee gehen: Dann trägt man auch bei den Simseks Tuch. Ansonsten wünscht sich der Lehrer - und propagiert das auch, wo immer er gefragt wird -, dass Mädchen, die in Deutschland aufwachsen, sich nicht die eigene Zukunft verbauen mit diesem Stück Stoff, das zum Symbol eines Kulturkampfes geworden ist. "Welcher Deutsche soll sie denn einstellen, wer ihnen einen Ausbildungsplatz geben?" Ihm blute das Herz, wenn er Mädchen sagen höre, dass sie sich, wie schon die Mama, als Putzfrau ihr Geld verdienen wollen. Voraussetzung für jede Integration sei die Sprache. Deshalb hat Simsek schon lange keine Erstklässler mehr aufgenommen. "Sie sollen sich ganz auf das Deutsche konzentrieren." Ab Klasse 2 besprach er dann auf Türkisch, was sie auf Deutsch durchgenommen hatten: Verkehrsregeln, Gestaltung der Wohnung, Arbeitsverteilung in der Familie, Merkmale verschiedener Religionen. Nicht aber Religionsunterricht, wie viele annehmen: Den haben junge Muslime an den Wochenenden. Die Schulen vermissen Simsek schon jetzt. Maria Maas, Leiterin der Georg-Meistermann-Grundschule, schätzte an ihm vor allem seine Treue als "ganz wichtiges Bindeglied zwischen Schule und Familien" auch in unangenehmen Situationen: Wenn die Theaterfahrt nach Trier Geld kosten oder Kinder mit Lernschwierigkeiten überprüft werden sollten. Irgendwie habe Simsek das immer geklärt. Ähnliches verlautet aus der DOS: "Er hat der Schule immer zugearbeitet und war sich für nichts zu schade", sagt Helma Thelen-Oberbillig. Lachend erinnert sie sich, wie er zu einem Schulfest so viel Essen organisiert hat, "dass unsere Gäste es in drei Tagen nicht hätten aufessen können!" Simseks Tür bleibt offen. "Sie haben alle meine Telefonnummer." Ohnehin wird er eher im Un-Ruhestand leben. An vielen anderen Aufgaben bleibt er dran, besucht türkische Strafgefangene, dolmetscht für Behörden, betätigt sich politisch, gibt Deutschkurse für Türken und Türkischkurse für Deutsche. Sein "jüngster" Schüler ist ein Prominenter: Der neue Imam der Moschee in der Bahnhofstraße wird ebenfalls bei Simsek Deutsch lernen: ein bemerkenswerter Schritt hin zur Verständigung zwischen den Kulturen.

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