"Traudi" traut sich was

WITTLICH. Wenn Säubrenner aus aller Welt von ihrem Leben erzählen, ist ein zweistündiger Monolog einfach formidable Unterhaltung: Friedel Drautzburg plauderte auf Einladung der Casino-Gesellschaft über sich. Privates und Politisches machen seine erstaunliche Vita zu einem kuriosem Kaleidoskop deutscher Geschichte.

Sein Lebenslauf ist kein ruhiger Fluss: Mit Wittlicher Lieserwasser getauft, witterte Friedel "Traudi" Drautzburg wohl reizendes Neuland hinter jeder Biegung des Bachs. Das brachte ihn bis an die Spree. Denn als mancher auf der Lebensfahrt längst den Anker geworfen hat, folgte er weiter unstet den Verlockungen mancher Stromschnelle und ihrer Risiken. Friedel Drautzburg bleiben wohl manche Schramme aber auch andere Trophäen eines Abenteurers auf der ewigen Suche nach neuen Ufern. Nicht zuletzt verdankt er seinem Wagemut, das Schicksal immer wieder selbst beim Schopfe zu packen, sein wohl größtes Glück: Über seine kleine Tochter Sophie-Marie ist der Mann, der nächstes Jahr 70 wird, sehr glücklich. Kurz, das bürgerliche Karriere-Credo: Mein Job, mein Haus, meine Familie - das kann er nicht runterbeten, dafür aber ein im Rückblick auf ungewöhnliche Art "erfülltes" Leben schildern. "Manchmal ist alles wie ein Traum", sagt er am Ende seines Versuchs, sein Lebenswerk im aufregend-amüsanten Zeitraffer für seine Zuhörer in der Heimat zu ordnen."Friedel, der ist ein Filou"

Er war Wahlkampf-Genosse und ist Freund von Günter Grass, er hatte eine Spürnase für das Talent des Künstlers Günther Uecker, er nutzte sein Kommunikationstalent als Kneipier etwa der "Elsässer Weinstube" in Bonn, wo Ulrich Wickert kellnerte, war ehemals "Berlin-Umzugsgegner Nummer Eins" mit der Bürgerinitiative "Ja zu Bonn", jetzt ist er längst erfolgreich in Kölsch-Mission mit der "Ständigen Vertretung des Rheinlandes" kurz "Stäv" in Berlin, und er ist "Säubrenner" geblieben. Den Jugendfreund wieder sehen, ihm einfach mal begegnen, das zog rund 100 aufmerksame Zuhörer in den gut gefüllten Casino-Saal. "Friedel, der ist ein Filou", sagt eine Dame. "Mit dem habe ich Dinger erlebt, die kann man gar nicht erzählen. Verrückt", sagt eine andere, die ihm nach seinem Vortrag kess um den Hals fallen wird. Wer Kindheit und Jugend mit ihm teilte, ihn "Traudi" rief und nennt, fällt mit ihm zurück in das zerbombte Wittlich, denkt an die Schwimmversuche in der Lieser, die "schönste Pubertät, die man haben kann" und folgt ihm dann in die Fremde, nach Hamburg, Bonn, Berlin, wobei Drautzburgs Erlebnisse in ihrer Singularität immer das Allgemeine politische Leben im Persönlichen spiegeln. Und dieses Herz schlägt eben auf besondere Weise links. Auch das macht den Reiz seiner Zeitzeugenschaft aus. Wie er im freien Vortrag, die Hände mal in den Hosentaschen, mal offen übers Pult gestikulierend, seine Biografie auslotet, die als Lebenslauf für eine Bewerbung einen Personalchef sicher irritiert hätte, merkt man, dass er jetzt stolz ist auf das Logbuch seines Lebens. Und er freut sich nachher über jeden Handschlag seiner Jugendfreunde. Seine Tochter wird wohl keine Bombensplitter in der Burgstraße sammeln, das Schwimmen nicht in der Lieser lernen, aber vielleicht findet auch sie hier Freunde fürs Leben. Denn auch sie bekommt nicht nur "Berliner" sondern auch "Wittlicher Luft" mit auf den Weg. Und die ist gut für Lebenskünstler.

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