"Wer bin ich?: Neuer Tatort-Krimi mit der gebürtigen Wittlicherin Barbara Philipp ist wieder ein Sonderfall

Frankfurt/Wiesbaden/Wittlich · Respekt. Deutschland hat erst den völlig abgedrehten Tatort "Im Schmerz geboren" bejubelt oder gehasst, da setzt das Team des Hessischen Rundfunks noch einen drauf: "Wer bin ich?" mit Ulrich Tukur in den Rollen als Ulrich Tukur und Kommissar Murot und Barbara Philipp als Schauspielerin Barbara Philipp und weiteren verrückten Doppelbödigkeiten wird am Sonntag, 27. Dezember, zur Tatortzeit ausgestrahlt.

 Wer ist der Kommissar, wenn die Schauspieler sich zum Teil selbst spielen? Szene aus „Wer bin ich“ mit Wolfram Koch, Martin Wuttke, Barbara Philipp (alle sie selbst), Redakteur Hochstädt (Michael Rotschopf), Polizist Kern (Yorck Dippe) und Polizist Kugler (Sascha Nathan). Fotos (2): HR/Kai von Kröcher

Wer ist der Kommissar, wenn die Schauspieler sich zum Teil selbst spielen? Szene aus „Wer bin ich“ mit Wolfram Koch, Martin Wuttke, Barbara Philipp (alle sie selbst), Redakteur Hochstädt (Michael Rotschopf), Polizist Kern (Yorck Dippe) und Polizist Kugler (Sascha Nathan). Fotos (2): HR/Kai von Kröcher

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Frankfurt/Wiesbaden/Wittlich. Ja, in der Kantine des Hessischen Rundfunks, HR, gibt es Bayerische Wochen. Nein, es gab aber kein Biergulasch. Jedenfalls in der Welt, die wir Wirklichkeit nennen. Anders in der Welt des Films, da soll es Biergulasch in der HR-Kantine geben. Im Fall des neuen Tatort ist das so, wenn der Film, der naturgemäß eine Illusion ist, so tut als sei er so etwas wie Wirklichkeit und eben kein Tatort. Dazu gibt es aber noch Drehszenen eines Tatorts, der eben gerade im neuen Tatort gedreht wird.
Das zur groben Verwirrung und Einstimmung auf "Wer bin ich?", der am Sonntag, 27. Dezember, 20.15 Uhr naturgemäß in der ARD zu sehen sein wird.
Zuletzt räumte das HR-Team mit "Im Schmerz geboren" Preise ab. Was zu der Frage führte, die HR-Intendant Helmut Reitze beim Preview der neuesten Produktion vor mehr als 300 Menschen in Frankfurt im Sendesaal des HR stellt: "Was kann danach noch kommen?" Er gibt die Antwort selbst: "Ein doppelter Tatort zum gleichen Preis."
Was denn jetzt? Ein doppelter Tatort? Irgendwie schon, denkt man, wenn man in der Vorpremiere den Film im Film gesehen hat. Helmut Reitze flaxt: "Ohne Superlativ tut es die HR-Fernsehfilmredaktion eh nicht." Und: "Ungewöhnlich können wir gut." Stimmt. Der Intendant sagt auch zum neuen Tatort: "Er zeigt Abgründe des Filmgeschäftes, die hätte ich mir so nicht vorgestellt, aber es ist ja fast so wie unter Journalisten und Intendanten."
Das Preview-Publikum lacht. Später lacht es sich stellenweise "kaputt".
Dann sagt der Herr Intendant noch: "Es ist 20.15 Uhr". Stimmt auch, und im Frankfurter Sendesaal ist Tatort-Time.
Mit dabei: Die aus Wittlich stammende Schauspielerin Barbara Philipp, die unter anderem für den Deutschen Fernsehpreis nominiert gewesen ist. Sie würde tatsächlich gerne einmal mit einem großartigen Preis geehrt werden, so wie ihr Kollege Ulrich Tukur. Das ist der, "der immer die Nazis spielt", wird Barbara Philipp im neuen HR-Tatort sagen, als sie sich in ihrer Rolle als Barbara Philipp beschwert, dass sie noch keinen großen Preis bekommen hat. Und sowieso habe Starkollege Tukur einen besseren Vertrag als sie … Und zwar als der besondere HR-Tatort Kommissar, dem dann Barbara Philipp als Magda Wächter zur Seite steht.
Felix Murot heißt dann Ulrich Tukurs Part. Der hat mal einen Gehirntumor, mal einen genial wahnsinnigen Freund und jetzt auch noch Probleme mit seiner Rolle, also seiner Identität als Rolle.
Ja, das gibt es. Felix Murot will sich nämlich von Schauspieler Ulrich Tukur trennen und wirklich verselbstständigen, endlich nicht nur Rolle sein. Deshalb spielt Ulrich Tukur gleichzeitig sich als Schauspieler Ulrich Tukur, der unter Mordverdacht gerät, und als Tatortfigur Felix Murot, die sich von Ulrich Tukur ablösen will. Soweit, so auf den ersten Blick unlogisch, jedoch im Film durchaus plausibel und gipfelnd in einer großartigen Schlussszene.
Und das klingt kompliziert, ist aber überwiegend sehr komisch. So ist das bei diesem erneut speziellen Tatort des Hessischen Rundfunks. Und der ist nicht einfach ein doppelter, sondern fast ein dreifach Tatort, sieht man die hochkarätige Besetzung: Immerhin sind neben Felix Murot und Magda Wächter alias Ulrich Tukur und Barbara Philipp, auch das Frankfurter Team alias Margarita Broich und Wolfram Koch sowie Martin Wuttke dabei, der bis vor Kurzem in Leipzig den Ermittler spielte. und sie spielen nicht nur auf der Leinwand, sie sitzen alle im Publikum, leibhaftig.
Alle spielen in "Wer bin ich" sozusagen selbstironisch auch unter ihren Klarnamen mit. Sie spielen sich als Schauspieler-Menschen, die Drehbuch-Dialoge schwachsinnig finden, gewisse Eitelkeiten entwickelt haben, eine Art Schusswaffen-Szenen-Fimmel haben, dem anderen nicht den größeren Wohnwagen gönnen, den besseren Vertrag schon gar nicht. Jeder stellt sein spezielles Ego schön zugespitzt zur Schau. Oder ist alles nur Show? Das Publikum johlt.Alles ist großes Theater

 Ulrich Tukur spielt beides: Felix Murot und Ulrich Tukur als Ulrich Tukur.

Ulrich Tukur spielt beides: Felix Murot und Ulrich Tukur als Ulrich Tukur.

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Und es muss mitdenken: Klar ist alles eine große Erfindung, großes Theater, eine Illusion. Aber auf welcher Ebene ist man gerade? Sieht man eine Szene vom Tatort-Dreh im Tatort? (darin gibt es eine Leiche in einer Tiefgarage, was aber nicht weiter spektakulär ist. Viel spektakulärer ist, dass Tukur als Tukur unter Mordverdacht gerät!)
Kurzum: Was soll im Gespielten wie echt wirken, was wie gespielt? Diese Doppelbödigkeit gibt der Produktion etwas ungemein Spielerisches. Chaplin lässt grüßen. Und trotz oder gerade wegen dieser offensiv ausgestellten Künstlichkeit, die betont, dass letztlich alles nur ein Schauspiel ist, gewinnt der Film neben Momenten des lustigsten Klamauks an einer Tiefe, die fesselt wie die beste, zur Perfektion getriebene Fiktion. Ulrich Tukur, der selbst zu diesem Spiel im Spiel mit der Meta-Ebene angeregt und mitgewirkt hat, sagt in diesem Zusammenhang in einem Interview: "Man behauptet ja immer, jemand zu sein, der man gar nicht ist." Das habe man ausreizen, übertreiben wollen, wozu letztlich die Rolle des Kommissars Murot die Rolle des Schauspielers übernimmt. Dahinter stand die Frage, was passiere, wenn man übertreibe und eine Figur denken lasse. "Ich will auch mal ein Eis essen. Ich will auch mal im Park spazieren gehen." Komisch, surreal, unheimlich sei die Wirkung. Aber wie dieser spezielle Tatort ankomme?
Im Interview vor dem Preview sagt Ulrich Tukur: "Ich weiß nicht, habe keine Ahnung." Nach dem Abspann im HR-Sendesaal steht er dann mit seinen Kollegen Barbara Philipp, Margarita Broich, Wolfram Koch und Martin Wuttke vor der Leinwand. Das Spiel, für das Bastian Günther Drehbuch und Regie verantwortet, geht dann noch ein bisschen weiter und wird real. Tukur bleibt der preisgekrönte Mega star: Die Menschen stehen vor ihm Schlange für ein Foto, ein Autogramm. Alle sind angenehm heiter. Der Testlauf ist vielversprechend. Mehr wird man direkt nach Weihnachten wissen, wenn "Wer bin ich?" sich beim deutschen Fernsehpublikum beweisen muss. Es ist keine leichte Kost, aber stellenweise sehr lustige. Und auf ein kluges anspruchsvolles Publikum setzen Spielfilmredakteur Jörg Himstedt und Fernsehspielchefin Liane Jessen nicht zum ersten Mal. Für "Wer bin ich?" sind sie dafür schon mit dem Medienkulturpreis 2015 ausgezeichnet worden. Nach der offiziellen Ausstrahlung des Tatorts wird es vermutlich nicht bei diesem Preis bleiben.
Und was ist mit dem Biergulasch? Den haben die echten Menschen in der HR-Kantine vermisst und deshalb in den Film eingebaut. Einer von vielen Insiderwitzen. Die muss man nicht verstehen, um sich trotzdem zu amüsieren. Etwa darüber, dass ein fiktiver Tukur im Film auf den Film einer Überwachungskamera entdeckt, dass der, den er sieht, zwar aussieht wie er, es aber nicht ist.
Bleibt die Frage. Und was kommt als Nächstes? Ein normaler Tatort mit nur nicht aus der Rolle fallenden Ermittlern aus Wiesbaden? Aber: Was ist schon normal beim Film?

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