Ein Blick hinter die Kulissen

Frankfurt · Bundestrainer Löw will ohne "Scheuklappen" nach Russland reisen. Am Donnerstag geht’s ans Schwarze Meer.

 Joshua Kimmich (rechts, mit Amin Younes) ist der einzige Bayern-Spieler im DFB-Kader. Foto: dpa

Joshua Kimmich (rechts, mit Amin Younes) ist der einzige Bayern-Spieler im DFB-Kader. Foto: dpa

Foto: Sven Hoppe (dpa)


Frankfurt (dpa) Die Vorfreude wächst, die neue deutsche Fußball-Generation brennt auf der letzten Vorbereitungsetappe für den WM-Probelauf in Russland. Und auch Joachim Löw hat nach der ersten Schnupperwoche mit vielen Neulingen und Nachrückern im eigentlich ungeliebten Sommerturnier in vier russischen Städten schon jetzt einen ganz speziellen Reiz ausgemacht. "Ich sehe beim Confed Cup überhaupt kein Risiko, ganz im Gegenteil", sagte der Bundestrainer.
Die Herausforderung, die für eine völlig neuformierte deutsche Nationalmannschaft ohne ihre großen Stars am kommenden Montag in Sotschi gegen Australien beginnt, sei "eine Chance" und "eine Horizont-Erweiterung" für sein Personal, betonte Löw: "Es wird für einige Spieler eine wichtige Erfahrung sein, mit der A-Mannschaft gegen Australien, Kamerun oder Chile zu spielen. Denn das ist noch etwas anderes als Bundesliga oder Europa League. Das sind andere Mentalitäten, andere Ideen vom Fußball als das, was wir hier kennen."
Dass in seinem 22-köpfigen Kader die Stammkräfte und Fanlieblinge von Manuel Neuer über Mats Hummels bis zu Mesut Özil und Toni Kroos fehlen, verteidigte Löw nochmals mit deutlichen Worten: "Die Russen werden unsere Stars im kommenden Jahr sehen. Der Confed Cup ist ein Turnier zum Testen - für den Gastgeber genauso wie für uns."
Der Bundestrainer will in Russland mit seinen Spielern, für die am Dienstag vor dem Training im Sportpark Kelsterbach südöstlich von Frankfurt der offizielle Fototermin anberaumt war, die für eine erfolgreiche WM-Titelverteidigung 2018 mitentscheidenden Kleinigkeiten ausloten. Das betrifft die Fähigkeiten seiner Akteure ebenso wie die Bedingungen im Land des WM-Gastgebers: "Nächstes Jahr müssen wir top in Form sein und eine gute Performance abliefern."
Ein klares Ziel in Form einer Turnierplatzierung für diesen Sommer mag Löw nicht vorgeben, auch wenn der Test gegen Dänemark (1:1) und das WM-Qualifikationsspiel gegen San Marino (7:0) durchaus als hoffnungweckende Proben zu werten sind. "Das werde ich auch intern nicht formulieren", unterstrich der 57-Jährige: "Ich werde schauen, dass wir eine möglichst homogene Mannschaft auf den Platz bekommen, die mit Einsatzfreude und Spielfreude zu Werke geht." Am Donnerstagmorgen fliegt der DFB-Tross ans Schwarze Meer. Die Schwerpunkte der finalen Präparation hat Löw bereits benannt: Verfeinerung der Offensive, Aufbau einer stabilen defensiven Organisation und das Einüben von Standardsituationen. Der Ehrgeiz der Spieler um Jung-Kapitän Julian Draxler ist groß. Sie möchten im kommenden Jahr auch auf dem WM-Teamfoto wieder auftauchen - und sie wollen den aktuellen Erfolg. "Wir machen uns keinen großen Druck, aber wir sind Deutschland", sagte der 23-jährige Draxler. "Das ist nicht irgendein Freundschafts-Turnier. Wenn wir spielen, wollen wir auch gewinnen", ergänzte Joshua Kimmich, der einzige Bayern-Profi im Kader. Löw sagt: "Natürlich wird von der deutschen Nationalmannschaft immer erwartet, erfolgreich zu sein. Aber ich glaube, dass es jeder so einschätzen kann, dass eine WM oder EM im sportlichen Wert noch über dem Confed Cup steht."
Vor allem international wird seine Kaderauswahl kritisch gesehen. Europameister Portugal und Löws Turnierfavorit Chile haben alle Asse dabei. "Ich kann natürlich eine gewisse Enttäuschung bei manchen verstehen. Doch die Fans wollen gerade bei uns diese Topspieler noch ein paar Jahre auf gutem Niveau sehen. Und sie wollen nicht sehen, dass sie verletzt sind", unterstrich Löw.
Der Freiburger betrachtet den Confed Cup auch als "willkommene Gelegenheit, um einfach noch mehr Erfahrung zu sammeln, das Land und die Menschen besser kennenzulernen, die Bedingungen vor Ort, die Stimmung aufzusaugen. Das hilft uns vielleicht dann im nächsten Jahr." Das WM-Stammquartier für 2018 will er deshalb auch erst nach den aktuellen Turniereindrücken benennen.
Es sei zudem wichtig, dass man "auch hinter die Kulissen" des Gastgeberlandes blickt. "Das war immer unser Ansatz. Wofür unsere Mannschaft steht, ist ja bekannt: für Werte wie Offenheit, Vielfalt, Integration, Toleranz, Fairplay, aber auch Spielfreude, Teamwork und Erfolg. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn solche Werte überall auf der Welt gelten würden", sagte der Bundestrainer. Man sollte vom Fußball aber nicht verlangen, "dass er Probleme überwindet, die auch die Politik nicht lösen kann", bemerkte Löw. Klar sei, "dass wir nicht mit Scheuklappen durch andere Länder reisen. Die Umstände dort interessieren uns immer."

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