Jugendarbeit nur noch mit Führungszeugnis

Trier · "Null Toleranz" für Missbrauch in der Kirche hat der Trierer Bischof Stephan Ackermann gestern angekündigt. Er stellte in einer Pressekonferenz die überarbeiteten Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch vor.

Noch bevor Bischof Stephan Ackermann die Pressekonferenz eröffnet, kommt es zum Tumult in dem Konferenzsaal. Der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, und Bistumssprecher Stephan Kronenburg fordern den mittlerweile bundesweit bekannten Norbert Denef auf, den Saal zu verlassen, weil er kein Pressevertreter sei. "Ich werde herausgeschmissen", krakeelt Denef vor den knapp 50 Journalisten, ehe er vor die Tür geht.

Der 61-Jährige aus dem Ostseeort Scharbeutz ist Missbrauchsopfer. Der Sprecher des Netzwerks Betroffener sexualisierter Gewalt ist aber auch berüchtigt. Auf dem Ökumenischen Kirchentag stürmte er bei der Missbrauchsdebatte das Podium. Er kritisiert, dass die Opfer nicht zu Wort kämen.

Man habe sehr wohl Opfer eingebunden bei der Erarbeitung der Leitlinien, entkräftet später Ackermann die Vorwürfe des Kirchenkritikers. Man merkt dem im Fokus von zwei Dutzend Fernsehkameras und Fotografen stehenden Bischof an, dass er nervös ist. Es geht bei der Überarbeitung der aus dem Jahr 2002 stammenden Leitlinien für den Umgang der katholischen Kirche mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger auch darum, ob sich der Trierer Oberhirte durchsetzen konnte. Bereits kurz nach seiner Ernennung als Missbrauchsbeauftragter der Bischofskonferenz hatte der 47-Jährige geäußert, dass eine Anzeigepflicht bei Missbrauchsfällen nicht immer sinnvoll sei. Sein Amtsvorgänger, der Münchener Erzbischof Reinhard Marx, forderte damals hingegen, jeden Verdachtsfall der Staatsanwaltschaft zu melden.

In den neu gefassten Leitlinien ist nun die Rede von "optimaler Unterstützung" der Staatsanwaltschaft. Die Strafverfolger sollen grundsätzlich informiert werden, wenn es einen begründeten Verdacht für sexuellen Missbrauch gibt - es sei denn, das Opfer will dies nicht. Damit sollen Opfer geschützt und ermutigt werden, Verdachtsfälle zu melden, ohne Angst vor polizeilichen Vernehmungen und Zeugenaussagen zu haben. Man habe die Leitlinien verschärft, meint der Trierer Bischof und spricht von "Null Toleranz" für Missbrauch in der Kirche. So dürfen Täter nicht mehr mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, werden aber nicht automatisch aus dem Kirchendienst entlassen. "Täter sind auch Menschen", die Kirche habe auch Verantwortung für sie, sagt Ackermann. Bleibt der Täter im Dienst, muss er sich aber einem psychologischen Gutachten unterziehen.

Was im Bistum Trier schon umgesetzt wird. So wurde ein im vorigen Jahr wegen Kinderporno-Besitzes verurteilter Pfarrer aus der Eifel als Krankenhaus-Seelsorger eingesetzt, nachdem ein vom Bistum in Auftrag gegebenes Gutachten ergeben hatte, der damals 37-Jährige habe keine pädophile Veranlagung. Auch ein zunächst von Ackermann wegen Missbrauchsvorwürfen beurlaubter Priester aus dem saarländischen Neunkirchen darf an den Altar zurückkehren, nachdem die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt hat und ein psychologisches Gutachten zu dem Ergebnis kam, dass der Einsatz des Priesters "ohne Einschränkungen möglich ist".

Weiterer Punkt, um Missbrauch zu verhindern: Wer künftig in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit eingesetzt werden soll, muss ein Führungszeugnis vorlegen, um nachzuweisen, dass er nicht wegen Missbrauchs vorbestraft ist. Damit geht die katholische Kirche weiter als das im Mai geänderte Jugendhilfegesetz. Darin heißt es, dass die Träger der Jugendhilfe, zu der auch Kindergärten gehören, in regelmäßigen Abständen ein Führungszeugnis vorlegen lassen sollen - es besteht aber keine Verpflichtung dazu. extra

Chronik des Missbrauchsskandals:

28. Januar 2010: Ehemalige Schüler des von Jesuiten geleiteten Canisius-Kollegs in Berlin machen erstmals den Missbrauch durch Lehrer öffentlich. Immer mehr Fälle von sexuellem Missbrauch durch katholische Laien, Priester und Ordensleute werden bekannt. 10. Februar 2010: Der Trie-rer Bischof Stephan Ackermann meldet sich als erster deutscher Bischof zu dem sich ausweitenden Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche zu Wort. Der Skandal sei verheerend für die katholische Kirche, sagt Ackermann im TV-Interview. 18. Februar 2010: Am früheren Internat Biesdorf (Eifelkreis Bitburg-Prüm) der Missionare von der Heiligen Familie wird Missbrauch durch einen Ordensmann bekannt. Immer mehr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Priester aus der Region melden sich beim Bistum. Fast alle Bistümer in Deutschland sind von dem Skandal betroffen. 25. Februar 2010: Bischof Ackermann wird Missbrauchsbeauftragter der katholischen Kirche. 30. März 2010: Eine bundesweite Telefonhotline für Missbrauchsopfer wird freigeschaltet. 21. April 2010: Während der Heilig-Rock-Tage in Trier kritisiert Bischof Ackermann ungewöhnlich deutlich Priester und den Vatikan; Priester hätten das Vertrauen von Menschen "auf grausame Weise" verraten. 10. Juni 2010: Der Bischof trifft sich mit Vertretern von Opferschutzverbänden. Einige Tage später redet er mit Missbrauchsopfern aus der Region. 31. August 2010: Bischof Ackermann stellt die neuen Leitlinien für den Umgang der katholischen Kirche mit sexuellem Missbrauch vor. (wie)Hintergrund Missbrauchsvorwürfe im Bistum Trier: 32 Priester und Laien aus dem Bistum Trier sollen in den vergangenen 60 Jahren Minderjährige missbraucht haben. Zwischen 1990 und heute soll es sieben Fälle gegeben haben. Die Opfer hatten sich in den vergangenen Monaten beim Bistum gemeldet. Die Verdachtsfälle seien nur schwer zu überprüfen, einige Hinweise halte man für glaubwürdig, sagte gestern ein Bistumssprecher. Kürzlich hatte der Trierer Bischof Stephan Ackermann die Beurlaubung eines wegen Missbrauchsvorwürfen vom Dienst freigestellten Priesters aus dem saarländischen Neunkirchen aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen gegen den 56-Jährigen eingestellt, weil die Vorfälle aus den 80er Jahren verjährt waren. (wie)

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