Naschbares Dorf statt essbare Stadt

Seit die Igeler Säule nicht mehr eingerüstet ist, fahren Touristenbusse die Weltkulturerbestätte wieder vermehrt an. Mit dem dahinter liegenden Garten gibt es einen weiteren Grund, einen Stopp einzulegen.

Die Igeler Säule hat den Status Weltkulturerbe. Der Naschgarten dahinter könnte bald Kultstatus bekommen. Die frische Ernte aus dem Kräuterbeet des terrassierten Geländes im Moselort ist heiß begehrt. Das Areal ist nach dem Flurnamen auf dem extrem heißen Südhang "Säulengarten im Steinwingert" benannt.

Kräuter für die Hausapotheke


"Im Sinne der essbaren Stadt haben wir hier ein naschbares Dorf initiiert", sagt die ortsansässige Landschaftsarchitektin Silke Oeffling. Sie hat das von der EU, Land und Gemeinde geförderte Projekt, geplant (siehe Extra) und betreut es ehrenamtlich mit mehreren Helfern aus dem Ort. Eine davon ist Doris Kesseler. Die Hauswirtschafterin im Igeler Kindergarten kümmert sich in ihrer Freizeit um das 16 Meter lange Kräuterbeet.
Gerade schneidet sie Lavendel der Sorte Hidcote Blue. 120 Büsche säumen die Mauerkrone. Dahinter wachsen die wichtigsten Kräuter für Küche und Hausapotheke.
Die intensiv blauviolett blühende Lavendelsorte gilt als eine der besten. Sie wächst kompakt und enthält viel ätherisches Öl. "Für Lavendelzucker und Tee müssen die Blüten noch geschlossen sein", erklärt die Köchin. Im Knospenstadium könne noch kein Staub eindringen, und die blauen Blüten seien deshalb rein.
Voll erblühte Ähren oder solche, die im Abblühen sind, verwendet Doris Kesseler für ihre Duftsäckchen. "Das duftet noch nach einem Jahr", weiß die Kräuterbegeisterte aus Erfahrung. Auf ihrem Kopfkissen hat sie immer ein Lavendelduftkissen liegen: "Wenn man es vor dem Zubettgehen etwas knautscht, schläft man besser ein." Das liegt an der entspannenden Wirkung von Lavendel.
Rohstoff für Delikatessen


Bis Ende August sollte man die mediterranen Gewächse zurückschneiden. Das hält die Büsche in Form. In unseren Breiten kürzt man Lavendel im Sommer nur bis zum Laub oder knapp darunter ein.
Der eigentliche Rückschnitt für einen frischen Neuaustrieb der duftenden Blüher erfolgt dann im Frühjahr. "Ich versuche unseren Lavendel möglichst noch in der ersten Blüte etwa Mitte Juli zurückzuschneiden", sagt Kesseler. Im Moselklima in sonnenverwöhnter Hanglage blühen die Lavendelbüsche sogar ein zweites Mal.
Außerdem braucht sie den wertvollen Rohstoff für ihre liebevoll zubereiteten Kräuterdelikatessen. Die Gläschen mit Lavendelzucker sind nur eines von vielen Angeboten in der Kräuterkiste.
Gegen eine Spende für den Unterhalt des Säulengartens wird die saisonale Ernte im obersten Gartenteil angeboten. Hier kann sich jeder Gartenbesucher, von den Igeler Bürgern bis zu den Touristen, mitnehmen, was ihm besonders gut schmeckt. Neben frischen Kräutern findet man bereits verarbeitete Produkte: Beispiele sind Gewürze in Öl eingelegt. Folglich konservieren Teekräuter oder Pesto eben auch ein Stück des besonderen Ortes.
Extra

Der "Säulengarten im Steinwingert" ist das Projekt hinter der Igeler Säule und unterhalb der Alten Igeler Kirche, das letztes Jahr eingeweiht wurde. Die Landschaftsarchitektin Silke Oeffling erinnert sich, wie sie nach dem Roden 2014 auf dem verwilderten Gelände alte Trockenmauern freilegten: "Wir wollten möglichst viel davon erhalten." Die Terrassierung gliedert das Gelände. "Von Anfang an war das Ziel, einen lebendigen Garten zu schaffen", so Oeffling. Einen geschichtlichen Bezug zu den Römern gibt es am Weltkulturerbe-Standort der römischen Tuchhändlerfamilie: Die Pflanzenauswahl ist eine Reminiszenz an die Römer. Sie liebten Rosen. Auf der obersten Etage wachsen stark duftende Kartoffelrosen. Neben dem Weinberg, für den die Gruppe Winzer Sebastian Scharfbillig gewinnen konnte, wachsen Quittenbäume und Mispeln. Zum Herzstück der Anlage hat sich der Kräutergarten entwickelt. Die ersten mediterranen Kräuter brachten schließlich die Römer mit. Rein geografisch verbindet der Garten das Unterdorf mit dem Oberdorf. Ein aufgeweiteter Atriumplatz oberhalb der Säule bietet eine erste Sitzgelegenheit. Die Anlage ist frei zugänglich. kf

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