Chance beherzt ergriffen

Vor kurzem saßen bei einer Veranstaltung zum Gesundheitswesen in der Großregion Experten aus Saar-Lor-Lux im Trierer Brüderkrankenhaus zusammen und stellten wörtlich fest, dass in ihrem Sektor die Mauer zwischen Deutschland, Luxemburg, Frankreich und Belgien "höher sei als einstmals die Mauer in Berlin".Wer die Kulturhauptstadt 2007 richtig bewerten will, darf nicht vergessen, wie es in vielen Bereichen um die Großregion bestellt ist: Man kennt sich nicht, redet nicht miteinander, lebt nebeneinander her.

Gemessen daran markieren die 135 grenzüberschreitenden Kulturhauptstadt-Projekte, die vielen neu entstandenen Kontakte und Partnerschaften, die gefallenen Hemmschwellen fürs Publikum eine ganz neue Qualität. Praktizierte Nachbarschaft jenseits von Tank-Tourismus, Bänker-Jobs und Handwerks-Aufträgen. Also genau das, was zum Zusammenwachsen in Saar-Lor-Lux händeringend gebraucht wird. Dabei ist deutlich geworden, dass der politische Dinosaurier Großregion, der von Mainz bis Nancy, von Koblenz bis Lüttich reicht, mit der Entwicklung im 100-Kilometer-Umfeld rund um Luxemburg nicht mithalten kann. Die Politik sollte die Dynamik im erweiterten Dreiländereck akzeptieren und ihr den nötigen Freiraum lassen. Die Region Trier hat die von Luxemburg generös offerierte "Chance Kulturhauptstadt" mit beiden Händen ergriffen. Nirgendwo außerhalb Luxemburgs war der blaue Hirsch so präsent, nirgendwo die Kultur-Szene so aktiv. Dabei wurde allerdings auch deutlich, dass es der Impulse und der Hilfen bedarf. In der Stadt Trier, wo es ein Budget und ein ansprechbares Koordinationsbüro gab, fand die Kreativität der Kulturmacher reichlich Raum. Im Umland waren es nur mutige Einzelkämpfer, die sich im Alleingang ihren Platz in der Kulturhaupstadt eroberten. Wer will, dass die Ansätze nicht versanden, muss wissen, dass er (zumindest schmale) Strukturen und (zumindest bescheidene) Budgets braucht. Für die Kultur insgesamt hat ihr Hauptstadtjahr einen beachtlichen Gewinn an Reputation gebracht. Der Anteil derer, die begreifen, dass Kultur und Kunst wesentliche Faktoren nicht nur für individuelles Wohlergehen, sondern auch für allgemeinen Wohlstand sein können, ist gestiegen. Bleibt zum Schluss ein Dank und ein Glückwunsch an die Luxemburger Kulturpolitiker und Organisatoren. Es gibt immer einiges zu kritisieren, manches sicher zu Recht. Aber ihr Konzept, einerseits nicht auf massenwirksame, kulinarische Promi-Spektakel zu setzen, andererseits aber trotzdem die einheimische Szene mit internationaler Qualitäts-Kultur zu konfrontieren, war genau richtig. Die Nachhaltigkeit dieser zwölf intensiven Monate wird es beweisen. d.lintz@volksfreund.de

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