Der Faktor Zeit

Die Uhr für Saddam Hussein läuft ab. Zwar haben die UN-Waffeninspektoren offenbar weitere Wochen gewonnen, um Erkenntnisse zu erlangen, die einen Krieg rechtfertigen oder aber dem Frieden eine Chance geben könnten.

Doch hilft die nervtötende Hängepartie keiner Seite wirklich weiter: Sollten die Kontrolleure doch noch fündig werden, dürfte der Beginn der amerikanischen Offensive nicht lange auf sich warten lassen. Ändert sich nichts am derzeitigen Sachverhalt, ist gleichwohl nicht mit einem Verzicht der USA auf Saddams Entwaffnung zu rechnen. Insofern berechtigt der Faktor Zeit, auf den man sich nach dem Blix-Bericht nun zu einigen scheint, nicht unbedingt zu großen Hoffnungen. Von besonderem Interesse bleibt in diesem Zusammenhang die Positionierung der Parteien in Deutschland. Bundeskanzler Gerhard Schröder gibt weiterhin eine Antikriegs-Richtung vor, die in der Bevölkerung ­ übrigens weltweit ­ auf Zustimmung stößt. Die Menschen spüren instinktiv, dass die innere Begründung für den Krieg der äußeren Bedrohungslage (noch) nicht entspricht, dass auch sachfremde Interessen eine Rolle spielen, und dass Präsident Bush vom Versagen bei der Verfolgung des Erzterroristen Osama bin Laden ablenken will. Schröder wird sich allerdings hüten, diese heiklen Punkte zu thematisieren, obwohl sie ihm die Gelegenheit bieten, das Kriegsproblem abermals auch innenpolitisch zu instrumentalisieren. Schröders grundsätzliche Position, die ethisch kaum angreifbar ist, hat die Opposition in Begründungszwänge gebracht. Zwar begrüßen auch Union und FDP die Fristverlängerung für die Inspektoren (und damit für Saddam), aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die christliche Opposition die flammenden Appelle des Papstes und der Kirchen weitgehend außer acht lässt. Und dass sie in besonderer Weise der amerikanischen Sichtweise zuneigt, die auch aufgrund ihrer demonstrativen Macht-Logik nur schwer vermittelbar ist. Gewiss wird niemand der Behauptung widersprechen, dass Saddam Hussein ein Tyrann ist, der nur die Sprache der Gewalt versteht, und dass vom vermuteten Waffenarsenal des Irak eine Gefahr ausgeht. Gleichwohl sind auch CDU, CSU und FDP bisher die Erklärung schuldig geblieben, welche Legitimation dafür herhalten soll, ein Land zu verwüsten und eine unbekannte Anzahl unschuldiger Menschen zu töten, um eines schuldigen Scheusals habhaft zu werden. Zumal der Irak heute das bestüberwachte Land der Erde ist und eine neuerliche Aggression Saddams schon im Keim erstickt werden könnte. Ungeachtet der offenen Frage, wie die Opposition in Deutschland auf einen möglichen Alleingang der Amerikaner reagieren wird, geht Schröder einen schweren Weg. Ein kurzer Krieg, der die Befreiung und Demokratisierung des irakischen Volkes ermöglichen würde, könnte den Kanzler außenpolitisch zum Zwerg degradieren und ihn, auch wegen der unweigerlichen innenpolitischen Rückkopplungen, womöglich gar zum Rücktritt zwingen. Ein langer, verlustreicher Waffengang indes könnte Schröder "nachträglich" zu einer politischen Symbolfigur machen, die rechtzeitig vor den Folgen des Krieges gewarnt und mutig gegen die Supermacht Stellung bezogen hat. nachrichten.red@volksfreund.de

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