Der falsche Schritt

"Deutschland wird auf Jahre unschlagbar sein." Ein Satz, wie in Stein gemeißelt, ausgesprochen von "Kaiser" Franz Beckenbauer einen Tag nach dem WM-Sieg 1990. Ein Satz, der 14 Jahre später Rudi Völler zum Verhängnis wurde.

Ein Satz, der den Blick auf die Realität ein Jahrzehnt lang verbaute. Eine Dekade lang wurde in Deutschland die Talentförderung völlig verschlafen. Man merkte viel zu spät, dass Nationen wie die Niederlande, England oder Frankreich längst an uns vorbeigezogen waren, weil sie ihren Nachwuchs strukturierter und erfolgsorientierter ausbildeten. Erst das EM-Debakel von 2000 öffnete dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) die Augen. Seitdem wurden Millionen ins Programm "Talente fördern und fordern" gepumpt. Eine sinnvolle Investition in die Zukunft, die ersten zarten Pflänzchen blühen schon auf. Deswegen ist der Rücktritt von Rudi Völler der falsche Schritt. Mittendrin in der Vorbereitung auf die WM im eigenen Land hat es der Teamchef im Rahmen des Sechs-Jahres-Plans geschafft, junge Spieler zu integrieren - und dadurch anderen Mut gemacht, dass sie eine Chance bekommen, wenn der Einsatz stimmt. Dass der Erfolg in Portugal ausblieb, ist nur zum Teil Schuld des Teamchefs. Er hat Fehler bei der Aufstellung gemacht und hat es nicht geschafft, den absoluten Siegeswillen in seinen Spielern zu wecken. Aber die Wurzel des generellen Übels hat Völler - im Gegensatz zu seinem deutlich kläglicher gescheiterten Vorgänger Erich Ribbeck - angegangen. Er hätte sich selbst die Chance geben müssen, das Projekt "WM 2006" durchzuziehen. Warum aber trat Völler zurück? Gleich nach der Niederlage gegen Tschechien vermittelte er den Eindruck, er wolle weitermachen. War es die Angst, von der Boulevard-Presse abgeschossen zu werden? Ist es ein verlockendes Job-Angebot seines Ex-Arbeitgebers Bayer Leverkusen als Nachfolger von Reiner Calmund, gepaart mit der Aussicht, weniger unter der öffentlichen Beobachtung und dem daraus resultierenden Druck zu stehen? Die Gründe kennt Völler nur alleine, denn Verband und Mannschaft haben ihn zum Weitermachen aufgefordert. Wer folgt? Immer wieder wird Otmar Hitzfeld ins Gespräch gebracht. Doch der Ex-Bayern-Coach ist der absolut falsche Mann. In Dortmund und München hat er nur mit "fertigen" Spielern Erfolg gehabt. Beim BVB hatte er sein "Quoten-Talent" Lars Ricken, in München musste erst "Kaiser Franz" Druck machen, damit Hitzfeld Youngster Bastian Schweinsteiger einsetzte. Der Völler-Nachfolger muss aber ein Trainer sein, der Talente formen, integrieren und zu Führungsspielern aufbauen kann. Diese Gabe fehlt Hitzfeld. Christoph Daum? Er hat zwar Erfolge, wird aber aufgrund seiner imageschädigenden Kokain-Affäre durchs Raster fallen. Otto Rehhagel? Er wird angesichts der Erfolge und des Kults um seine Person sicher nicht den griechischen Olymp verlassen, um sich mit den ungeliebten deutschen Medien einzulassen. Bliebe nur derjenige, der die meisten Jung-Nationalspieler ins "Stahlbad Bundesliga" geworfen hat: Felix Magath. Doch der hat gerade in München unterschrieben. Er fällt also auch aus, es sei denn, die Bayern folgen dem Beispiel Bayer und stellen die Vereinsinteressen hinter die Belange der Nationalmannschaft zurück. Warum also kein ausländischer Trainer mit einem Draht zur Jugend? Er könnte unvorbelastet an seinen Job gehen, neue Ideen einbringen. Nur: Bringt der DFB diesen Mut auf? Die Kritiker werden gleich Zeter, Mordio und "Haben wir in Deutschland keinen guten Trainer?" schreien. Der Blick in die globalisierte Fußball-Welt zeigt aber, dass die Herren Eriksson (Schwede in England) oder Scolari (Brasilianer in Portugal) durchaus Erfolge vorweisen können. Dass sie noch stärker im Fokus stehen als ein Einheimischer ist auch klar. Der DFB muss schnell, aber überlegt handeln, denn für Experimente ist es angesichts der WM 2006 viel zu spät. Daher ist es umso schlimmer, dass Rudi Völler zurückgetreten ist. b.pazen@volksfreund.de

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