Der verdammte Krieg

Im öffentlichen Bewusstsein steckt Afghanistan in zwei Schubladen: Da ist der Norden des Landes, wo es vergleichsweise ruhig zugeht und die Bundeswehr ihren Friedensdienst tut. Und da ist der Süden, wo allerorten Konflikte brodeln und Armeen verbündeter Staaten Terroristen jagen.

Spätestens nach diesem Wochenende, an dem drei deutsche Soldaten im nordafghanischen Kunduz getötet wurden, darf dieser naive Eindruck nicht länger strapaziert werden: Im Land am Hindukusch herrscht flächendeckend Krieg. Ganz gleich, wo sich Angehörige der Bundeswehr gerade aufhalten. Die verstärkten Selbstmordattentate markieren dabei eine neue Dimension der Auseinandersetzung. Beschwören sie doch eine schleichende "Irakisierung" Afghanistans herauf. Eine Aussicht, die westliche Politiker und Nato-Militärs gleichermaßen ratlos macht. Die Reaktionen auf den schlimmen Vorfall ließen dann auch nicht lange auf sich warten. Der Ruf nach einem verstärkten Eigenschutz wurde laut und die Forderung, den Bundeswehreinsatz zu beenden. Solche Reflexe klingen vertraut, was aber nicht heißt, dass sie leicht vom Tisch zu wischen wären. Schon die Abstimmung über den Tornado-Einsatz hat gezeigt, dass die Heimatfront zunehmend bröckelt. Mit "Nein" votierten immerhin fast 70 SPD-Abgeordnete. Ihre Bedenken dürften nach der jüngsten Hiobsbotschaft nicht kleiner geworden sein. Ohne Zweifel steckt die Bundeswehr am Hindukusch in einem Dilemma. Weil sie den persönlichen Kontakt mit der Bevölkerung sucht, ist sie dort beliebt. Doch gerade weil sie sich so vorbildlich verhält, wird sie für Terroristen leicht zur Beute. Mit einem raschen Abzug ließe sich dieses Problem sicher lösen. Für Afghanistan wäre ein solcher Schritt allerdings erst recht verheerend. Immerhin stellt Deutschland mit rund 3000 Soldaten eines der größten Truppenkontingente. Ein Triumph der Gotteskrieger würde das Land in die islamistische Steinzeit zurück katapultieren. Von der Gefahr, dass sich der internationale Terrorismus einmal mehr ungestört sammeln kann, ganz zu schweigen. Zu einem Einsatz der Bundeswehr in dem geschundenen Land gibt es bei näherer Betrachtung also keine vernünftige Alternative. Das bedeutet aber nicht, dass alles so weiter laufen kann wie bisher. Der Tod unserer Soldaten sollte Anlass sein, die internationale Strategie für Afghanistan stärker ins Blickfeld zu rücken. Mit militärischen Mitteln allein, das zeigt die Entwicklung seit rund fünf Jahren, ist der Frieden schwerlich zu gewinnen. Solange die zivilen Aufbauhilfen vergleichsweise bescheiden bleiben, dürfen die Taliban bei ihrem Kreuzzug gegen die "Ungläubigen" auf Sympathien in der afghanischen Bevölkerung hoffen. Zweifellos kann Deutschland die nötige Entwicklungshilfe nicht allein schultern. Weil auch deutsche Soldaten in Afghanistan den Kopf hinhalten, können die Kanzlerin und ihr Außenminister in den Gremien von Nato und EU aber glaubhaft dafür werben. Im Oktober muss der Bundestag erneut über eine Verlängerung der Bundeswehrmission in Afghanistan entscheiden. Absehbar ist, dass dabei auch der furchtbare Vorfall in Kunduz eine Rolle spielen wird. Bislang gründete sich die öffentliche Akzeptanz der Auslandseinsätze auf ihre vermeintliche Ungefährlichkeit. Damit ist es nun endgültig vorbei. Wer die Bundeswehr nach Afghanistan schickt, kann sich nicht mehr länger an der Bedrohungslage vorbeimogeln. Zur politischen Verantwortung gehört aber auch, den Soldaten Perspektiven über Sinn und Zweck des Einsatzes aufzuzeigen. Ohne eine deutliche Stärkung der zivilen Komponente droht ihre Mission zum Debakel zu werden. nachrichten.red@volksfreund.de

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