Die Vorbilder

Seit Urzeiten sucht der Mensch Halt und Orientierung im komplizierten Weltgetriebe. Besonders dienlich sind ihm dabei Mitmenschen, die sich vorbildlich verhalten, im Sinne des Wortes also "Vorbilder" sind.

Auch die Deutschen blicken auf zu Persönlichkeiten, die durch ihr außergewöhnliches Verhalten bleibenden Eindruck hinterlassen haben: Mahatma Gandhi, Albert Schweitzer, Mutter Teresa. In einer großen Umfrage 2003 wurden (neben den eigenen Eltern) auch Günter Jauch, Karl-Heinz Böhm und Michael Schumacher genannt, Vertreter der Show- und Sport-Branche. Die deutsche Politik- und Wirtschaftselite war nicht vertreten auf den vorderen Plätzen. Das ist kein Zufall. Der Fall Laurenz Meyer wirft abermals ein grelles Licht auf die privilegierte Kaste hochmögender Zeitgenossen, die eigentlich qua Amt und Würden eine Vorbildfunktion im Staate übernehmen sollten, dazu aber offensichtlich nicht in der Lage sind. Schwer zu beantworten ist dabei die Frage, ob die Elite in Deutschland von einem materialistischen Geist geprägt ist, der sich weg bewegt von den Werten der französischen Revolution - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - und nur noch den Markt- und Börsengesetzen der Moderne gehorcht. Oder ob die Politiker und Unternehmensbosse in Zeiten der Globalisierung schicksalhaft an einer kollektiven Charakterschwäche leiden. Einige Beispiele aus dem zu Ende gehenden Jahr 2004 nähren jedenfalls die Vermutung, dass etwas faul ist im Staate. Sinnbildlich stehen in dieser Hinsicht die Namen Ernst Welteke (Präsident der Deutschen Bundesbank), Josef Ackermann (Chef der Deutschen Bank), Klaus Esser (Ex-Chef des Mannesmann-Konzerns), Hermann-Josef Arentz (Ex-Chef des Arbeitnehmerflügels der CDU) und nun auch Laurenz Meyer (Noch-Generalsekretär der CDU). Die Liste ließe sich verlängern, und durchaus auf scheinbar integre Sportstars ausweiten, etwa die Schumacher-Brüder Michael und Ralf, die ihre Millionen lieber im Ausland versteuern. Wo aber sind die positiv besetzten Namen, die jenseits sportlicher oder künstlerischer Leistungen Interesse wecken, vielleicht sogar Bewunderung? Es ist auch die Krise der vermeintlichen Elite, die dem Land zu schaffen macht. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und politischen Situation, die ihr Heil in gnadenloser Rationalisierung, Verlagerung von Arbeitsplätzen und Leistungskürzungen sucht. Es ist das spürbare Auseinanderdriften der Kräfte, das von oben initiierte Rette-sich-wer-kann-Syndrom, an dem die Gesellschaft leidet. Gewiss sind dafür unsere Politiker nicht alleine verantwortlich zu machen, aber sie haben die Macht, etwas zu verändern, und die Pflicht, Fehlentwicklungen zu verhindern. Das "Wort des Jahres" heißt Hartz IV, und es spricht Bände. Wer dem Volk Wasser verordnet, sich selbst aber Champagner gönnt, zerstört Vertrauen und höhlt die gesellschaftlichen Bindekräfte aus. Eine Nation, die keine (lebenden) Vorbilder in führender Funktion hat, braucht sich jedenfalls nicht zu wundern, wenn die Solidarität nachlässt und der Egoismus triumphiert. nachrichten.red@volksfreund.de

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