Dieser Aufschwung verkraftet so einiges

Die Wirtschaft floriert, aber der Aufschwung kommt bei den Bürgern nicht an. Diese Einschätzung ist weit verbreitet. Doch über ihren Wahrheitsgehalt streiten selbst die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute.

Berlin. Tatsächlich seien die verfügbaren Einkommen nicht so gestiegen wie in früheren Zeiten, sagte der Konjunkturexperte des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Udo Ludwig. "Natürlich kommt der Aufschwung an", widersprach ihm sein Kollege vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IFW), Joachim Scheide. Auch als Folge der moderaten Lohnentwicklung sei die Zahl der Arbeitslosen seit 2005 um eine Million gesunken. Ungeachtet dieser unterschiedlichen Ansätze sind sich die Experten dann auch einig, dass die Bundesregierung tunlichst an ihrem bisherigen arbeitsmarktpolitischen Kurs festhalten solle. "Es ist absurd, mit Verweis auf die bessere Kassenlage eine Revision der Reformen zu fordern", heißt es in ihrem gestern vorgestellten Herbstgutachten. Dabei beziehen sich die Autoren vor allem auf die Forderung von SPD-Chef Kurt Beck, das Arbeitslosengeld wieder zu verlängern. "Nicht alles, was kurzfristig finanzierbar ist, ist auch langfristig tragfähig", warnte Roland Döhrn vom Essener RWI-Institut im Hinblick auf konjunkturell düstere Zeiten. Danach sieht es einstweilen aber nicht aus. Nach Überzeugung der Wirtschaftsforscher legt die gute Konjunktur allenfalls eine "Pause" ein. Gemessen an ihrer Frühjahrsprognose wurde die Wachstumsvorhersage für das laufende Jahr noch um 0,2 auf 2,6 Prozent nach oben korrigiert. In den neuen Bundesländern sind es gar drei Prozent. Damit würde die ostdeutsche Wirtschaft das dritte Jahr in Folge stärker wachsen als im Westen. Für 2008 wird eine leichte Abschwächung auf 2,2 Prozent im Bundesdurchschnitt prognostiziert.Arbeitslosigkeit geht weiter zurück

Damit sind die Institute optimistischer als etwa der Internationale Währungsfonds (IWF), der 2008 nur noch mit einem Wachstum von zwei Prozent in Deutschland rechnet. Laut Gutachten wird 2008 auch die Arbeitslosigkeit weiter zurückgehen. Für 2007 rechnen die Forscher mit durchschnittlich 3,8 Millionen arbeitslos Gemeldeten, für 2008 mit 3,4 Millionen. Trotz eines starken Euro-Kurses und hoher Ölpreise habe sich der Aufschwung "so weit gefestigt, dass die Belastungen nicht zu einem Einbruch der Konjunktur führen dürften", heißt es in der Analyse. Dabei gründet sich die Erwartung vornehmlich auf einen Aufschwung des privaten Konsums, der durch die Mehrwertsteueranhebung gebremst wurde. So werden etwa die Tariflöhne im kommenden Jahr um durchschnittlich 2,6 Prozent höher ausfallen als 2007. Auch bei den Ruheständlern, die ein großes Kaufkraftpotenzial bilden, rechnen die Forscher mit einem Rentenzuwachs von 1,5 Prozent. Die Kehrseite der Medaille ist, dass der Staat daran kräftig mitverdient. Steigende Bruttolöhne erhöhen nämlich die progressionsbedingte Einkommensteuerbelastung. Angenommen, der Lohnzuwachs beläuft sich im Jahresdurchschnitt auf drei Prozent, dann könnten die öffentlichen Kassen nach Berechnungen der Institute 4,5 Milliarden mehr Steuern pro Jahr verbuchen. Kein Wunder also, dass die Forscher wie schon in ihren früheren Gutachten nach Steuersenkungen rufen. Davon will der Staat allerdings nichts wissen. So beklagen die Wissenschaftler zugleich, dass der geplante Ausgabenzuwachs der öffentlichen Hand im konsumtiven Bereich "äußerst problematisch" sei, weil die Gefahr bestehe, im nächsten Abschwung wieder bei den Investitionen zu kürzen.

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