Dritte Wahl gleich erste Wahl

Demokratie darf nicht an den EU-Grenzen enden - und der gewaltfreie Protest sowie die (wenn auch zaghafte) internationale Einmischung haben bewiesen, dass auch jenseits des real nicht mehr existierenden eisernen Vorhangs die Macht vom Volke ausgeht.

Gestern wählten die Ukrainer zum dritten Mal innerhalb von drei Monaten ihren Präsidenten. Und der erste Sieger stand selbst an den Urnen - die Menschen, die sich nicht manipulieren ließen, die aufgestanden sind gegen das System, das ihnen per Wahlbetrug ein falsches Ergebnis vorgaukeln wollte. Dass der Oppositionelle Viktor Juschtschenko die Wahl gewinnen würde, wie es erste Umfragen am späten Sonntagabend meldeten, war eigentlich klar. Juschtschenko ist nach Bekanntwerden des Dioxin-Anschlags so etwas wie ein Märtyrer für die Demokratie. Er symbolisiert die Macht des Volkes, den Geist, niemals aufzugeben und suggeriert gleichzeitig den Wählern die "Go-west"-Haltung, den goldenen Weg zu mehr Wohlstand. Weg von alten Kadern, weg von Russland, hin zur Europäischen Union. Das scheinbar klare Ergebnis spiegelt aber auch die Entwicklung in anderen ehemaligen Sowjet-Republiken wie Georgien wider: Eigenständigkeit, Abnabelung - auch auf die Gefahr hin, dass vom großen Bruder aus Moskau die Aufträge und die finanzielle Unterstützung ausbleiben könnten. Die Ukraine verfügt über große Rohstoff-Vorkommen - autark ist sie aber noch lange nicht. Die Kluft zwischen bäuerlicher Armut auf dem Land und Reichtum im Finanzzentrum Kiew wurde nach dem Ende der GUS immer größer. Wenn die Wahl-Wogen in den kommenden Wochen abgeklungen sind, muss Juschtschenko schnellstmöglich den Prozess der Annäherung der politischen Lager forcieren - denn, wenn das Volk keine Veränderung (vor allem im Geldbeutel) bemerkt, ist er sein Heilsbringer-Image schnell wieder los. Zudem steht in Kiew zu befürchten, dass die Noch-Regierung - aus der Opposition heraus - mit ihrer Blockadepolitik jeglichen Reformgeist zu bremsen weiß. Dann muss Russlands Premier Vladimir Putin wohl oder übel seinen langen Arm ins Spiel bringen - einen weiteren Krisenherd in der Nachbarschaft kann er sich nicht leisten. b.pazen@volksfreund.de

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