Durchhalten und durchschwimmen

BERLIN. Der Ausbildungspakt zwischen Bundesregierung und Wirtschaftsverbänden ist so gut wie fertig. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat für Mittwoch eine Vollversammlung einberufen, in der die örtlichen Kammern eingeschworen werden sollen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder war gerade mit seiner Kolonne abgerauscht, als sich die beiden mächtigen Wirtschaftsbosse, Industrie-Chef Michael Rogowski und Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, gemeinsam vor den Mikrofonen aufbauten - Kanzler weg, Schluss mit den Nettigkeiten. Im Hintergrund schimmerte in der Sonne der alte, abbruchreife Berliner Palast der Republik, ein Symbol für die untergegangene DDR, für Umbruch und Aufbruch, weswegen der Bundesverband der Industrie (BDI) genau dort seine Jahrestagung zwischen Stahlträgern und Betonpfeilern veranstaltete. Was denn nun mit dem Ausbildungspakt sei, mit dem Aufbruch auf dem Lehrstellenmarkt, wollte ein Journalist passend zum Ambiente wissen. "Der Pakt ist das, was wir eh tun", meinte Hundt abschätzig. Und Rogowski ergänzte, dass das Gesetz über eine Ausbildungsplatzabgabe unbedingt habe verhindert werden müssen, deshalb komme nun der Ausbildungspakt. Notgedrungen also. Nicht gerade schmeichelhaft für den kurz zuvor entschwundenen Regierungschef, der auf der BDI-Tagung für den Pakt noch in eindringlichen Worten geworben hatte. Ansonsten erhielt Gerhard Schröder von der Industrie viel Zuspruch. Ein sozialdemokratischer Kanzler, mit dem die eigenen Genossen heftig hadern und auf den die Gewerkschaften schimpfen, kann eben aus Sicht der Unternehmen so schlecht doch nicht sein.30 000 neue Lehrstellen bis zum Herbst

Es kam hinzu, dass Gerhard Schröder unmissverständlich deutlich machte, er werde für seine Reformpolitik weiter kämpfen - "zunächst bis 2006 - und manche werden sich noch wundern", kündigte der Niedersachse schmunzelnd an. BDI-Präsident Rogowski antwortete brav: "Wir bauen auf Sie. Durchhalten, durchschwimmen." Allerdings reiche das bisherige Reformprogramm der Regierung nicht aus, betonte er. Und dann: "Wir sind bereit zu einem Ausbildungspakt - aber ohne Gesetz!" Wird es so kommen? Voraussichtlich wird der Pakt zwischen Regierung und Wirtschaft heute Nachmittag unterzeichnet, wie es gestern aus Regierungskreisen hieß. Laut Rogowski sieht er im Kern vor, dass die Wirtschaft bis zum Herbst dieses Jahres rund 30 000 "neue Arbeitsplätze", das heißt Lehrstellen, bereitstellt. Für die Jahre 2005 und 2006 sollen jeweils weitere 30 000 Stellen angeboten werden. Schwer vermittelbare Jugendliche bekommen zudem bis 2006 jährlich 20 000 bis 25 000 einjährige Praktika zur Verfügung gestellt, die die Bundesagentur für Arbeit bezahlt. Es gibt jedoch noch Stolpersteine: Zum einen ist die Laufzeit des Paktes umstritten. Die Wirtschaft drängt auf drei Jahre, die Regierung will den Erfolg der Vereinbarung am liebsten im nächsten Jahr überprüfen und sich das Gesetz weiterhin vorbehalten, wie SPD-Fraktionschef Franz Müntefering vor seiner Fraktion deutlich machte. Zudem ist unklar zwischen den Partnern, wie "neu" und "zusätzlich" denn nun definiert wird - "neue" Lehrstellen bedeutet aus Sicht der Arbeitgeber nämlich nicht zwangsläufig "zusätzliche" Ausbildungsplätze. Denn jedes Jahr, so die Verbände, fallen zahlreiche Lehrstellen weg, weil die Konjunktur lahmt, Betriebe in Konkurs gehen oder abwandern. Außerdem: "Wir müssen unsere Unternehmen noch überzeugen", meinte Rogowski am Rande der BDI-Tagung. Die Spitze des Arbeitgeberverbandes BDA zog sich gestern zu einer Sitzung in Sachen Pakt zurück, von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) hieß es, er werde sich am Abend mit Vertretern aller Wirtschaftsverbände treffen. Und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag will heute eine Vollversammlung einberufen, um die örtlichen Kammern auf den Pakt schon einmal grundsätzlich einzuschwören.

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