Ein Schicksal, zwei Seiten

Es ist eine schlimme Sache für Sebastian Deisler. Jung, erfolgreich, umschwärmt. Und dann das: Depressionen. So schwer, dass der Fußballprofi vom FC Bayern München stationär behandelt werden muss. Die Schlagzeilen waren zahlreich, die Lettern dick - doch es gab erstaunlich wenig Häme. Kaum Sprüche à la "Der war ja immer schon ein bisschen seltsam", keine Spur von "Weichei"-Kommentaren. Sachlichkeit bestimmte und bestimmt die Berichterstattung. Analysen, warum in der Leistungsgesellschaft, warum infolge der Individualisierung die Zahl der depressiven Erkrankungen steigt. Erklärungen des Phänomens Depression. Dass es sich dabei nicht um eingebildete Probleme immer schon labiler Menschen handelt, sondern um ernsthafte Erkrankungen. Vielen wurde bewusst: Wenn ein Mann wie Sebastian Deisler "so etwas" bekommen kann, kann es auch mich treffen. Das Thema Depression ist ein Stück weit in die Gesellschaft hineingerückt. Das erleichtert es den Betroffenen, sich ihr Problem einzugestehen und professionelle Unterstützung zu holen. Wie wichtig diese Entwicklung ist, zeigt ein Modellprojekt in Nürnberg: Eine breit angelegte Aufklärungsaktion ließ die Suizidrate binnen eines Jahres um 25 Prozent sinken. Der "Fall Deisler" hat mehr bewirkt als jede Kampagne. Und deshalb ist die schlimme Sache für den Fußballstar eine gute für die vier Millionen Deutschen, die im Laufe ihres Lebens an Depressionen leiden. i.kreutz@volksfreund.de

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