Eine neue Dimension

Als sich Verteidigungsminister Peter Struck vor ein paar Monaten zu der Ansicht verstieg, Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt, reagierte die Nation noch mit ungläubigem Staunen. Spätestens seit dem Wochenende ist klar, welche Konsequenzen das neue politische Selbstverständnis im Extremfall haben kann.

Zum ersten Mal sind deutsche Soldaten im internationalen Einsatz einem terroristischen Anschlag zum Opfer gefallen. Das ist eine neue Dimension, die viele Fragen provoziert. Zum Beispiel nach der Sicherheit unserer Einsatzkräfte. Oder nach dem Sinn solcher Missionen. Außerdem geht es um die Definition deutscher Interessen in der Welt, die bislang zumeist elitären Debattier-Zirkeln vorbehalten schien. Der Tod der vier Bundeswehrsoldaten in Kabul offenbart auf drastische Weise, dass keine dieser Fragen bislang hinreichend beantwortet ist. Sicher, es sind nicht die ersten Opfer. Allein in Afghanistan kamen bereits mehr als ein Dutzend Bundeswehrangehörige ums Leben. Allerdings handelte es sich vornehmlich um tragische Unglücksfälle. Mal waren es explodierende Mienen, ein anderes Mal vermeintlich fehlgeleitete Geschosse. Gerade dieser Umstand mochte den fälschlichen Eindruck nähren, deutsche Soldaten blieben auf wundersame Weise von gezielten Angriffen verschont. Dabei grenzt es beinah an ein Wunder, dass sich ein solch dramatischer Vorgang wie am vergangenen Sonnabend in Kabul nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt ereignet hat. Fast 10 000 Bundeswehrsoldaten tun mittlerweile an fünf Brennpunkten auf drei Kontinenten ihren Dienst. Rund die Hälfte davon ist auf dem Balkan eingesetzt. Etwa 2000 Einsatzkräfte stehen in Kabul. Und weil sich die internationalen Schlagzeilen zuletzt so massiv um den Irak-Krieg rankten, geriet fast in Vergessenheit, dass Deutschland seit ein paar Monaten die Führung der Isaf-Mission in Afghanistan übernommen hat. An internen Warnungen vor Angriffen herrschte zweifellos kein Mangel. Und womöglich wären Opfer vermieden worden, hätte es größere Schutzvorkehrungen für den deutschen Konvoi gegeben. Eine Diskussion im Konjunktiv hilft allerdings nicht wirklich weiter. Die Wahrheit lautet schlicht: Es gibt keine absolute Sicherheit bei internationalen Einsätzen. Ansonsten würden sie sich von vorn herein erübrigen. Auf einem anderen Blatt steht, wie die deutsche Bevölkerung auf diese Tatsache von der Politik eingestimmt wurde. Hier gibt es eklatante Defizite. Das wachsende internationale Engagement der Bundeswehr ging eher als schleichender Gewöhnungsprozess über die Bühne, als dass dahinter eine schlüssige außenpolitische Philosophie stünde. Über die Truppe wird hier zu Lande fast ausschließlich als Kostenfaktor diskutiert. Selbst die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien - weg von der Landesverteidigung, hin zu weltumspannenden Aufgaben -, scheinen sich im allgemeinen Bewusstsein dem Diktat des Geldmangels unterzuordnen. Diese Debatte muss endlich vom Kopf auf die Füße gestellt werden, zumal Rot-Grün eine räumliche Ausdehnung der Afghanistan-Mission erwägt und im bügerkriegsgeschüttelten Kongo ein weiterer internationaler Einsatz ansteht. Die Akzeptanz der Bundeswehr im Ausland mochte sich bei den Bürgern auf die scheinbare Ungefährlichkeit des Unterfangen gegründet haben. Damit ist es nun vorbei. Durch den schockierenden Tod der vier Bundeswehrsoldaten rückt die internationale Verantwortung Deutschland schlagartig ins Bewusstsein. Dazu gehört übrigens auch, die Beteiligung an einem Einsatz abzulehnen, wenn er mit deutschen Interessen unvereinbar ist. nachrichten.red@volksfreund.de

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