Führungs-Defizit

Wenn sich die US-Präsidentschaftskandidaten heute beim Vorwahl-Auftakt im Bundesstaat Iowa erstmals einem Votum der Bürger stellen müssen, wird auch Europa etwas genauer hinschauen.

Denn schließlich könnte sich aufgrund der Besonderheiten des amerikanischen Wahlsystems schon in den nächsten fünf Wochen entscheiden, wer im November dann für beide große Parteien das End-Duell um die Bush-Nachfolge bestreitet. Gewinnt am Ende die enorm polarisierende Demokratin Hillary Clinton, würden sich die beiden prominenten Politikerfamilien fast 25 Jahre lang die Macht in Washington im Wechsel teilen - eine Entwicklung, bei der sich gerade jenen, die auf frischen Wind im Weißen Haus hoffen, die Nackenhaare sträuben. Setzt sich ein Republikaner wie Kriegsveteran John McCain oder New Yorks Ex-Bürgermeister Rudy Guiliani durch, scheint eine Fortsetzung der weitgehend von Unilateralismus geprägten umstrittenen Sicherheits- und Außenpolitik Bushs fast unvermeidlich. Doch sowohl für Iowa wie auch den sich anschließenden Vorwahltermin in New Hampshire gilt: Trotz einer in der US-Geschichte beispiellosen Materialschlacht hat sich bisher keiner der Bewerber, glaubt man den täglich neu veröffentlichten Umfragen, ganz klar landesweit absetzen können. Das deutet auch auf ein Phänomen hin: Beiden Parteien fehlt es offensichtlich an Persönlichkeiten, denen der Wähler mehrheitlich zutraut, vom ersten Tag an die Bürde eines Präsidentenjobs zu tragen. Eine Aufgabe, die von innenpolitischen Themen wie Sozialversicherungskrise, Rezessionsgefahr und Sicherheitsfragen sowie den vielfältigen Krisenherden in der Welt geprägt ist. Die Ermordung von Benazir Bhutto und die Destabilisierung der islamischen Atommacht Pakistan, der Krieg im Irak, das Leid der Menschen in Darfur, die Iran-Problematik und die Möglichkeit eines neuen folgenreichen Terroranschlags zeigen überdeutlich, wie hochkalibrig die Herausforderungen sind. Je näher der noch weit entfernte Wahltag rückt, umso schmerzlicher dürfte deshalb den US-Bürgern, aber auch den Beobachtern in Europa klar werden, dass die kontinuierliche Machtausübung der Dynastie Bush, unterbrochen von der Clinton-Ära, auch zu einem grundsätzlichen Defizit an Führungspersönlichkeiten geführt hat. Nun könnte sich am Ende ein Bewerber nur deshalb durchsetzen, weil er über das notwendige "big money", die Wahlmaschinerie und ein Minimum an Charisma verfügt, um in wichtigen Bundesstaaten die Nase vorn zu haben. Über die wahren Qualitäten des Siegers wird dies aber wenig aussagen. nachrichten.red@volksfreund.de

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