Frühstücksbrote kennt er nicht...

BERLIN. Das Deutsche Kinderhilfswerk hat eine stärkere Bekämpfung der Kinderarmut gefordert. Mehr als eine Million Minderjährige in Deutschland lebten von Sozialhilfe, teilte die Organisation in Berlin mit.

Mario ist 14 Jahre alte, Frühstücksbrote kennt er nicht. Geht Mario morgens aus dem Haus, liegt seine Mutter noch im Bett. Er besucht die siebte Klasse einer Gesamtschule, Freunde hat er dort keine, denn Mario hat keine Markenklamotten. An Wandertagen fehlt er regelmäßig, offiziell ist er dann krank. Inoffiziell ist Mario arm, und er teilt dieses Schicksal mit über einer Million anderer Kinder. Die Kinderarmut in Deutschland wächst: In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl derer, die von Sozialhilfe leben, verdreifacht. Kinderarmut steigt aber auch in eine andere Richtung: In keinem anderen Land der Welt ist der Anteil der Kinderlosen an der Gesamtbevölkerung so hoch wie in Deutschland. Das zwischen beiden Entwicklungen ein Zusammenhang besteht, liegt nahe: Sprösslinge sind ein Armutsrisiko, und ein Großteil der Deutschen gibt an, dass sie aus finanziellen Gründen keine Eltern werden wollen. "Eine kinderfreundliche Gesellschaft, die wir offensichtlich nicht sind, muss auch elternfreundlich sein", mahnte deshalb Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) bei der Vorstellung des Kinderreports 2004 des Kinderhilfswerks. Seit Jahren schon wird vor der Entwicklung gewarnt, nur genützt hat dies nicht viel. Das liegt daran, dass Armut hierzulande nicht wirklich sichtbar ist, "es gibt keine Bilder, dass Kinder unter Brücken schlafen müssen", sagt der Experte Thomas Olk. Als arm gilt, wer in einer Familie mit weniger als 50 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens lebt. Armut spiegelt sich in den Dingen des Alltags wider - wenn Kinder keine Pausenbrote mit in die Schule bekommen; wenn der Fernseher zum Babysitter oder der Nachwuchs morgens nicht geweckt wird und allein den Tag begehen muss; wenn Kinder keine Klassenfahrt machen und keine Geburtstage feiern können - materielle und soziale Armut führt dann in die Isolation. Aber auch das ist Deutschland: Die rund elf Millionen Jungen und Mädchen hatten in 2003 satte 20,4 Milliarden Euro zur Verfügung - eine Kaufkraft sondergleichen, wie auch die Wirtschaft weiß. 558 000 arme "Kids" leben bei allein erziehenden Frauen. Diese Mütter finden keine Arbeit, weil sie den Nachwuchs versorgen müssen, sie finden aber auch keine Betreuung, weil sie keine Arbeit haben und damit keine Anspruch auf einen der begehrten Plätze. Hartz IV soll nach dem Willen der Bundesregierung Besserung bringen. Nach den Berechnungen des Familienministeriums werden 25 000 Kinder von der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe betroffen sein. Die Kommunen erhalten jedoch daraus1,5 Milliarden Euro für die Verbesserung der Betreuung von Kleinkindern. Alleinerziehende dürfen überdies künftig nicht mehr von der Arbeitsvermittlung wegen unbetreuter Kinder als unvermittelbar abgewiesen werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort