Guter Plan, harte Realität

Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft." So steht es im Grundgesetz, Artikel 6, Absatz 2. Eigentlich ist damit alles gesagt: Kindererziehung und -pflege sind keine Privatsache der Eltern, sondern ihre Pflicht.

Der Staat nimmt die Funktion des Wächters ein und hat zu kontrollieren, ob die Eltern ihren Pflichten nachkommen. Beides aber, das zeigen die fast täglich neuen Fälle von Kindesmisshandlung und Kindstötung, funktioniert offenbar nicht: Eltern sind mit der Erziehung überfordert, sind hilflos, vielleicht auch bequem, dumm, egoistisch oder sogar kriminell. Ihre Kinder sind ihre Opfer. Und der Staat, der den Eltern auf die Finger schauen soll, versagt regelmäßig, bekommt von den Missständen nichts mit. Initiativen wie die von Ministerpräsident Kurt Beck setzen an beiden Punkten an: Einerseits sollen den Eltern Hilfen an die Hand gegeben werden (Unterstützungsnetz für Kinder und Eltern, Rechtsanspruch auf Bildung und Betreuung für Einjährige ab 2013). Andererseits sollen die Kontroll-Möglichkeiten der Behörden ausgebaut werden (Mehr Kompetenzen für Jugendämter, verbindliche Einladungen zu den Vorsorge-Untersuchungen). Der Weg, den die Landesregierung geht, ist grundsätzlich richtig. Erlaubt sein muss aber die Frage an Beck und seine Ministerpräsidenten-Kollegen, warum es wieder einmal so lange gedauert hat, bis tatsächlich etwas passiert. Zur Erinnerung: Nach dem Tod des kleinen Kevin in Bremen lagen fast alle nun wieder diskutierten Vorschläge schon einmal auf dem Tisch. Das war vor mehr als einem Jahr. Kritisch zu begutachten sein wird auch, wieviel von Becks Ankündigungskatalog in der Realität tatsächlich umgesetzt wird. Kindertagesstätten zu Eltern-Kind-Zentren umzubauen - das klingt gut. Wer sich aber ansieht, wie schwer es den Kommunen mangels ausreichender Finanzausstattung schon heute fällt, überhaupt genügend Kindertagesstätten einzurichten, darf erhebliche Zweifel an der Umsetzung dieses Vorhabens anmelden. Dass für den Rechtsanspruch auf Bildung und Betreuung für Einjährige das Gleiche gilt, liegt auf der Hand. Neue Gesetze zu zimmern, kostet die Politik wenig. Das nötige Geld für die Umsetzung bereit zu stellen, ist ungleich schwieriger. Ohnehin sollte sich niemand Illusionen machen: Auch wenn der Staat seiner Wächterfunktion endlich verstärkt nachkommt - den Faktor Mensch wird er nie ganz in den Griff bekommen. Keine Kontrolle ist so dicht, dass sie nicht umgangen werden kann, keine Hilfe so umfassend, dass es nicht trotzdem hilflose, verzweifelte, überforderte Mütter oder Väter geben wird. Es werden weiter Kinder zu Opfern werden. m.schmitz@volksfreund.de

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