Heuchelei

Begehen diejenigen, die dafür gesorgt haben, dass bei der amerikanischen Koma-Patientin Terri Schiavo am Freitag die künstliche Ernährung gestoppt wurde, nun einen Mord oder eben "nur" jene Sterbehilfe, die sich die seit 15 Jahren in tiefer Bewusstlosigkeit liegende Frau angeblich stets gewünscht hat?

Begehen diejenigen, die dafür gesorgt haben, dass bei der amerikanischen Koma-Patientin Terri Schiavo am Freitag die künstliche Ernährung gestoppt wurde, nun einen Mord oder eben "nur" jene Sterbehilfe, die sich die seit 15 Jahren in tiefer Bewusstlosigkeit liegende Frau angeblich stets gewünscht hat? Dieser heftig diskutierte Fall ist nicht nur medizinisch wie ethisch kompliziert, sondern mittlerweile von so vielen Emotionen und Gutachten wie auch Gegen-Thesen geprägt, dass sich jeder hierbei wünschen wird, nicht die endgültige – den Tod bedeutende – Entscheidung treffen zu müssen. Doch Amerikas Politiker, allen voran US-Präsident Bush, haben sich urplötzlich ein Ziel gesetzt: Terri Schiavo zu "retten" – wobei man wiederum allein schon darüber diskutieren könnte, ob eine Wiederaufnahme der Nahrungszufuhr angesichts des vegetativen Zustands der Patientin tatsächlich den Begriff Lebens-Rettung verdient. Diese überraschende Einmischung der vorwiegend konservativen Politiker in ein Einzelschicksal wäre einfacher zu ertragen, würde sie nicht von jeder Menge Heuchelei geprägt sein. Jene in Washington, die nun die "Kultur des Lebens" über alles stellen, hatten immerhin über ein Jahrzehnt Zeit, sich Terri Schiavo und den damit verbundenen Problemstellungen anzunehmen. Doch das Schicksal der Kranken passt vor allem den Republikanern derzeit wunderbar ins Konzept. Denn jene, die sich nun auf dem Kapitol und dem Weißen Haus als Lebensretter aufplustern, versuchen damit gleichzeitig, sich für das bereits abzeichnende nächste große Thema in den USA zu profilieren: US-Präsident Bush hat schließlich mehrfach angedeutet, dass er seine zweite Amtszeit mit einem grundsätzlichen Verbot von Abtreibungen krönen möchte. Die Debatte um Terri Schiavo kommt ihm deshalb gerade recht. Dass aber ausgerechnet jene, die gewöhnlich am Lautesten nach der Todesstrafe rufen und dabei selbst Zweifel an der Schuld von Angeklagten beiseite wischen, nun plötzlich das menschliche Leben über alles andere stellen, ist der wohl größte Widerspruch im politischen Programm der US-Konservativen. nachrichten.red@volksfreund.de

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