Idee mit Fallstricken

Kinder bekommen die Leute von alleine, dozierte einst Konrad Adenauer. Die Ansicht des ersten Kanzlers der Bundesrepublik entsprach jenem Zeitgeist, von dem auch die Mütter und Väter des Grundgesetzes inspiriert waren.

Sie stellten Ehe und Familie gleichermaßen unter den Schutz der Verfassung. Denn wo Familie ist, da sind auch Kinder. Und wo Ehe ist, da ist es genau so. An dieser gesellschaftlichen Automatik hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte jedoch Grundlegendes geändert. Es gibt immer mehr Single-Haushalte. Aber auch wer mit Trauschein lebt, leistet sich immer häufiger den Luxus der Kinderlosigkeit. Allein, das entsprechende Steuerrecht tut immer noch so, als sei die Bundesrepublik in ihrer Gründungsphase. Beim geltenden Ehegattensplitting macht es nämlich keinen Unterschied, ob Frau und Mann zwei oder drei Kinder, oder gar keins haben. Den fiskalischen Vorteil genießen alle verheirateten Paare gleichermaßen. Jährlich bis zu 8340 Euro lassen sich in einer Ehe sparen, wenn das Splitting voll greift. Das gilt insbesondere dann, wenn der Partner bestens verdient und die Partnerin keiner bezahlten Arbeit nachgeht. Beim Staat wirkt der Vorteil als Steuerausfall, der sich immerhin auf etwa 20 Milliarden Euro pro Jahr summiert. Nun würde darüber kaum jemand ein kritisches Wort verlieren, wenn es gut angelegtes Geld wäre. Ist es aber nur bedingt. Denn inzwischen profitieren mehr als 40 Prozent aller Ehen in Deutschland vom Splitting, obwohl sie keine Kinder haben. Dass da etwas schief läuft, hat man nun auch in der Union erkannt, die sich eigentlich als Hort des traditionellen Rollenverständnisses zwischen Mann und Frau begreift. Das neue Zauberwort heißt Familiensplitting. Sein Prinzip ist einfach: Je mehr Kinder da sind, desto weniger Steuern muss die Familie zahlen. Was gerecht klingt, muss aber nicht unbedingt gerecht sein. Wie bei jeder Steuerentlastung profitiert der am meisten, der auch viele Steuern zahlt. Bereits ein Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern braucht aber schon heute keine nennenswerten Beträge an den Fiskus abzuführen. Ihm kann die Unionsidee deshalb herzlich egal sein. Kinder in den oberen Einkommensgruppen werden dafür wesentlich mehr begünstigt, was den Staat unter dem Strich sogar teurer kommen kann als das geltende Ehegattensplitting. So gesehen steht der Unionsgedanke nicht nur sozialpolitisch, sondern auch finanzpolitisch in Zweifel. Eine Umschichtung des Splittingvorteils von Ehepaaren ohne zu Ehepaaren mit Kindern birgt verfassungsrechtliche Tücken. Schließlich haben die Richter in Karlsruhe immer auch den Schutz der Ehe hoch gehalten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Familie als Institution nicht besser auf andere Weise entlastet werden sollte. Die Stichworte sind bekannt. Sie lauten: Mehr Kindertagesstätten, kostenlose Betreuung und Ganztagsschulen Auch das kostet natürlich Geld. Aber es wäre sinnvoller angelegt als beim Familiensplitting, weil alle Familien unabhängig vom Geldbeutel einen Vorteil hätten. Wer das anachronistische Ehegattensplitting in seinen Grundfesten beklagt, der muss freilich die Verfassung ändern. Ob die Union dazu den Mut aufbringt? nachrichten.red@volksfreund.de

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