Jenseits von Afrika

Verzweifelte Mütter, die ihre ausgemergelten Kinder mit Blättern von verdorrten Bäumen füttern. Abgemagerte Babys mit großen, tieftraurigen Augen. Arme und Beine so dünn, dass die Knochen durchscheinen.

Die Bäuche aufgebläht, als würden sie gleich platzen. Apathisch wirkende Menschen, zu schwach, um die Schmeißfliegen zu vertreiben, die sie wie Boten des nahenden Todes umschwirren. Niger, ein bitterarmes Land in der afrikanischen Sahelzone, "am Ufer der Wüste", ist in den Schlagzeilen seltener zu finden als die Rückseite des Mondes - vergessen vom Rest der Welt, dem eigenen elendigen Schicksal überlassen. Dass Hunderttausende in Niger vom Hungertod bedroht sind, hat in den vergangenen Monaten kaum jemand bemerkt. Eine Katastrophe mit Ansage: Erst die Heuschreckenplage, dann eine außergewöhnliche Dürre. Vernichtete Ernten, verdorrtes Weideland, krepiertes Vieh. Hilfsorganisationen und Vereinte Nationen warnten seit langem - sie stießen auf taube Ohren. Experten vor Ort flehten um Flugzeuge und Pestizide, um die Heuschreckenschwärme zu vernichten - keine Reaktion. Jenseits von Afrika, im Wohlstands-Westen, verkündeten die Staats- und Regierungschefs der G-8-Länder vor vier Wochen, dass sie der Armut auf dem "schwarzen Kontinent" den Kampf ansagen, derweil die Live-8-Veranstalter rund um den Globus rockten und schöne Lieder sangen - doch es bewegte sich nichts. Erst seit grausige Bilder über die Bildschirme flimmern, erst seit entsetzliche Fotos in Zeitungen die Leser erschüttern, schreit das internationale Gewissen auf. Nun fließen Geldströme, nun öffnen Millionen ihre Geldbeutel und spenden - für viele Menschen in Niger zu spät. Warum!? In der Flut von Informationen, die alle Bewohner des globalen Mediendorfs dauerberieselt, fällt es offenbar immer schwerer, zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden. Die Reizschwelle liegt hoch, die Abstumpfung ist enorm, nur extreme Schockwirkung garantiert emotionale Betroffenheit - das Auge leidet mit. Wer "sein" Thema in den Blickpunkt der Öffentlichkeit bringen will, gerät leicht in Versuchung, zu übertreiben. Das Buhlen um Aufmerksamkeit gleicht einem Werbe-Feldzug, aus einer Krise wird rasch eine Katastrophe - Marketing mit Moral. Gegen die strategische Blindheit der politisch Verantwortlichen im Westen helfen solche Kampagnen nicht. Es wäre weder besonders teuer noch kompliziert gewesen, die Hungersnot in Niger (und anderswo) abzuwenden. Doch dazu bedarf es Taten - und nicht hochtrabender Worte. peter.reinhart@volksfreund.de

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