"Katastrophales Versagen" der Regierung Bush

So deutlich hat sich bisher noch keiner der militärischen Führer des Irak-Kriegs geäußert. Drei-Sterne-General Sanchez, der die US-Truppen von Juni 2003 für ein Jahr lang kommandierte, wartete damit bis nach seinem Ruhestand: Die Regierung Bush sei für die "katastrophal fehlerhafte, unrealistische Kriegsplanung" verantwortlich. Auch bei der Durchführung habe sich das Weiße Haus als "inkompetent" erwiesen

Washington. Was Sanchez in Washington bei einem Treffen mit Reportern gegenüber Bush, Rice & Co. vorbrachte, sucht an Offenheit seinesgleichen. "Wir erleben einen Alptraum, bei dem kein Ende in Sicht ist," so der Ex-General, der der politischen Führung ein "katastrophales Versagen" vorwarf. Diese sei "inkompetent, ungeschickt und nachlässig" bei der Erfüllung ihrer politischen Pflichten.Sanchez nannte zwar nicht den Präsidenten beim Namen, doch er ließ so gut wie keine Zweifel am eigentlichen Ziel seiner Attacken. Und auch der vom Weißen Haus im Januar dieses Jahres verordneten "Welle" - der Aufstockung der Bodentruppen um gut 30 000 Mann - gibt der fronterfahrene Militär so gut wie keine langfristigen Erfolgschancen: "Dies ist der verzweifelte Versuch einer Regierung, die die politischen und wirtschaftlichen Realitäten dieses Krieges nicht akzeptiert."

Konkret bemängelt der Ex-General - der im Sommer 2004 nach dem Bekanntwerden des Folterskandals im Abu-Ghraib-Gefängnis abgelöst würde, sich aber einer Untersuchung zufolge keines persönlichen Fehlverhaltens schuldig machte - vor allem den Umstand, dass Washington zu sehr auf militärische Mittel vertraut und dabei die politische Entwicklung einer effektiven neuen Regierung im Irak sträflich vernachlässigt habe. Mit dieser Kritik nimmt er vor allem Außenministerin Condoleezza Rice ins Visier, die zum Zeitpunkt der Invasion als Sicherheitsberaterin Bushs auch den Nationalen Sicherheitsrat leitete. Eine Sprecherin des Sicherheitsrates reagierte am Wochenende auf die beißende Kritik mit den Worten, es würden derzeit Fortschritte im Irak gemacht - und man danke General Sanchez für dessen Dienst am Vaterland.

Sein Vorschlag für den Weg aus dem Dilemma: Eine schnelle Truppenreduzierung "mangels einer guten Strategie", aber kein vollständiger Abzug. Denn man habe keine andere Wahl, wolle man eine Destabilisierung der gesamten Region verhindern. An einen Kurswechsel Bushs, der doch noch bessere Voraussetzungen für eine innere Befriedung des Landes schaffen könnte, glaubt Sanchez jedenfalls nicht: "Es geschieht derzeit nichts in Washington, was uns Hoffnung gibt."

Die Abrechnung

 Friedemann Diederichs

Friedemann Diederichs

Foto: (Bildarchiv Saarbrücker Zeitung)

Wenn ein General mit dem Weißen Haus abrechnet, dann hört man nicht nur in Washington zu. Und kaum ein hoher Militär kennt die Verhältnisse im Irak so aus eigener Erfahrung wie Ricardo Sanchez, der nun als Pensionär härteste Geschütze gegen die politische Führung und damit George W. Bush, aber auch dessen frühere Sicherheitsberaterin und heutige Außenministerin Condoleezza Rice auffährt. Inkompetenz, Ungeschick und Nachlässigkeit lauten die Hauptvorwürfe. Der General läßt an der vergangenen wie auch derzeitigen Strategie kein gutes Haar und spricht erstmals ganz offen aus, was bereits Umfragen zufolge eine Mehrheit der Bevölkerung und mindestens die Hälfte der Soldaten denken: Dass auch in den nächsten Monaten wieder für eine Sache gestorben wird, die deshalb längst als verloren gelten muss, weil man in Washington keinen überzeugenden Versöhnungs-Plan für das gespaltene Land parat hat. nachrichten.red@volksfreund.de

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