Musterland ist abgebrannt

Württemberg gilt seit Jahrzehnten als Musterländle der Republik. Die Wirtschaft wächst, Unternehmer unternehmen mehr als anderswo, die Bürger sind optimistischer, Kinder lernen mehr, die Straßen sind besser, Städte sauberer, Politik ist sachlicher und berechenbarer.

Das glaubten bisher zumindest viele Menschen in den übrigen 15 Bundesländern. Was die Politik betrifft, hat der Rest der Republik spätestens gestern die rosarote Brille von der Nase genommen und fragt konsterniert, ob die schwarzen Spitzen-Schwaben endgültig von allen guten Geistern verlassen sind. Da wird mit Erwin Teufel ein altgedienter und erfolgreicher Ministerpräsident solange sturmreif geschossen, bis er entnervt aufgibt, ohne dass es einen eindeutigen Kronprinzen gäbe. Da zeichnet sich zwischen Annette Schavan und Günter Oettinger ein Zweikampf und damit monatelanger Zoff um die Spitzenkandidatur ab. Die Konsequenz: neue Wunden, tiefe Gräben, Dauerstreit. Denn Geschichte wiederholt sich manchmal eben doch, wenn man aus der Vergangenheit nichts lernt. Das Stuttgarter Hickhack erinnert fatal an den Sturz Bernhard Vogels in Rheinland-Pfalz und die daraus resultierenden Fehden unter anderem zwischen Werner Langen und Hans-Otto Wilhelm. Die Ergebnisse aus diesem Königsmord sind bekannt: Verlust der Macht 1991 und bis heute tiefe Gräben und Risse innerhalb der Partei. Zur Erinnerung: Der ausgemusterte Vogel, den seine schwarzen Brüder und Schwestern im Land der Rüben und Reben nicht mehr wollten, wurde anschließend erfolgreicher Ministerpräsident in Thüringen. Doch verglichen mit den Christdemokraten im Ländle ging und geht es in Rheinland-Pfalz bei der Findung eines Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in zwei Jahren noch ziemlich zivilisiert zu. Immerhin schlagen hierzulande die gegnerischen Lager nur mit Worten aufeinander ein. In Württemberg geht‘s da schon handfester zur Sache. Dort prügelt sich wegen der Teufel-Nachfolge bereits das CDU-Führungspersonal, noch bevor der amtierende Ministerpräsident offiziell seinen Rückzug erklärt hat. Keilereien dieser Art kennen wir sonst nur von der Dorfkirmes oder aus der Disco. Die derzeitigen Probleme der CDU haben eben nicht nur eine bundesweite Dimension und verbinden sich keineswegs ausschließlich mit den Namen Stoiber oder Merkel. Zerrissenheit führt auch in Rheinland-Pfalz und Württemberg zu drastischem Ansehensverlust. Die Prügelattacke von Stuttgart ist nur der vorläufige, traurige Höhepunkt. Was kommt als nächstes? Musterland ist jetzt wohl endgültig abgebrannt. d.schwickerath@volksfreund.de

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