Peinliche Debatte

Die Zunahme an Terroranschlägen, sei es in der Türkei, Saudi-Arabien oder im Irak zeigt einen verhängnisvollen Trend: Je mehr sich die USA und ihre Koalitionäre rühmen, die Führung der Terrororganisation El Kaida zu zerschlagen, desto häufiger attackiert ein offensichtlich gestärktes "Fußvolk”, dass sich nicht nur aus Mitgliedern der Gruppe, aber auch sympathisierenden und kooperierenden nationalen Bewegungen rekrutiert.

Damit beginnen sich frühere Befürchtungen selbst amerikanischer Regierungsmitglieder zu bewahrheiten. Fahndungserfolge oder die Eliminierung von radikalen Führungsfiguren hält offenbar nachströmende und neu heranwachsende Extremisten nicht davon ab, sich im "Heiligen Kampf” gegen die vermeintlich "Ungläubigen” unter anderem als totgeweihte Bombenlieferanten zur Verfügung zu stellen. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatten einen derartigen Trend in jenem Memorandum, das eigentlich niemals unter die Augen der breiten Öffentlichkeit kommen sollte, bereits vorausgesehen. "Wird es uns gelingen, Terroristen schneller zu töten, als sich neue heranbilden?”, fragte er in dem Schriftsatz an seine engsten Mitarbeiter. Die Antwort liegt angesichts der Häufung von Mordanschlägen auf der Hand, und auch eine weitere Prophezeiung von Bushs oberstem Feldherrn dürfte korrekt sein: Dass der Kampf gegen den Terror eine lange, harte Schlacht sein wird - eine Schlacht, die nach den bitteren Erfahrungen der letzten Wochen wohl auch auf europäischem Boden ausgetragen werden muss. Wer die Philosophie der Attentäter - beginnend mit den Thesen Osama Bin Ladens - studiert, erkennt dabei schnell einen roten Faden: Das Ziel des Ärgers ist nicht allein das "böse” Amerika, sondern jeder, der sich nach Ansicht dieser radikalen Islamisten als "Ungläubiger” qualifiziert - und dazu reicht es schon, wie in der Türkei, eine relativ moderate Form des Islamismus zu praktizieren, sich immer mehr an westlichen Werten zu orientieren und den Einfluss religiöser Fanatiker auf politische Entscheidungen zu begrenzen oder gar auszuschließen. Angesichts dieses Kernmotivs der selbst ernannten "Heiligen Krieger” verbieten sich die derzeit in der Türkei geäußerten Schuldzuweisungen, Amerika trage für die verheerenden Anschläge die eigentliche Verantwortung, ebenso wie die hässlich-peinliche, nun in Deutschland geführte Debatte um die EU-Tauglichkeit derattackierten Türken. Wer glaubt, mehr Sicherheit zu gewinnen, indem er sich vom Opfer distanziert, dürfte auf dem Irrweg sein: Osama bin Laden und seine Anhänger und Sympathisanten sind nicht nur im Kriegszustand mit den USA und westlichen Werten, sondern auch mit jenen Nationen in der arabischen Welt, die eine Trennung von Moschee und Staat bevorzugen und einen radikalen Machtanspruch der Extremisten ablehnen, mit dem möglichst die gesamte Weltkugel überzogen werden soll. Ankara hat beispielsweise überhaupt nicht geholfen, sich bewusst aus dem Irak-Konflikt bisher herausgehalten zu haben in der Hoffnung, man werde die Radikalen damit nicht reizen. Denn diese Extremisten benötigen keinen Anlass, um gereizt zu werden - ihr langfristiges Ziel steht längst fest. Die Schlussfolgerung daraus kann nur lauten: Nicht Ausgrenzung und Abschottung, sondern Kooperation müssen für die westliche Welt angesichts dieser grenzüberschreitenden Herausforderung das Gebot der Stunde sein. nachrichten.red@volksfreund.de

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