Schlecht reden, schlecht regieren

BERLIN. Sticheleien im Bundestag: Bei der traditionellen Debatte um den Kanzler-Etat im Bundestag wählte Angela Merkel den Angriff als Verteidigung.

Formal geht es um 1,5 Milliarden Euro. Das sind nicht einmal ein Prozent des Bundeshaushalts im kommenden Jahr. Aber die traditionelle Debatte über den Etat des Kanzleramts dreht sich auch an diesem Mittwoch mitnichten um die unmittelbaren Ausgaben des Regierungschefs. Gerhard Schröder soll vielmehr kräftig einstecken. So hat es die Opposition bei dieser Gelegenheit immer gehalten. Wackliger Bundesetat, hohe Arbeitslosigkeit, enorme Schuldenlast, Feiertags- und Türkei-Diskussion. Das ist der Stoff, aus dem CSU-Landesgruppenchef Michael Glos die Abrechnung mit Rot-Grün gewebt hat. Der Bayer ist wie stets für das rhetorische Aufwärmprogramm zuständig. Als Glos in Rage den Außenminister wegen dubioser Visa-Praktiken seines Ressorts einen "Zuhälter" schimpft, hält es den Innenminister nicht mehr auf der Bank. Wütend verlässt Otto Schily den Saal. Da ahnt der CSU-Mann wohl, dass er wieder einmal überzogen hat. Nachdem ihm der Sitzungsleiter dafür auch noch eine Rüge erteilt, bittet Glos in Richtung Joschka Fischer "ausdrücklich" um Entschuldigung. So entwickelt sich die Debatte unter weniger großem Getöse als von manchen befürchtet. Der Kanzler gibt sich betont locker und gelassen, hat aber eine Botschaft an die Opposition, die sich wie roter Faden durch seine einstündige Rede zieht: Union und FDP sollten aufhören, ein "Zerrbild" von der Lage in Deutschland zu malen. Es sei "unpatriotisch, das Land so schlecht zu reden, wie sie es gegenwärtig tun". Natürlich gebe es "Licht- und Schattenseiten", räumt Schröder ein. Letztere spart er allerdings weitgehend aus.CDU-Chefin dreht den Spieß um

Stattdessen ergießt sich über die Zuhörer ein wahres Füllhorn guter Regierungstaten. "Wir sind es doch gewesen", wiederholt Schröder mehrfach, die die Steuersätze abgesenkt, die Rentenbeiträge stabilisiert oder die kapitalgedeckte Altersvorsorge initiiert haben. Einen Exkurs über die Schwachstellen der C-Parteien kann er sich am Ende nicht verkneifen. Ihr "groß angekündigtes" Gesundheitsmodell sei ein "bürokratisches Monster", wie die Union überhaupt "konzeptionell zu Nichts in der Lage" sei, dafür aber "ihre besten Leute" gehen lasse. Wer dort jedoch glaubt, die Opposition im Sack zu haben, der hat die Rechnung ohne Angela Merkel gemacht. Angespannt, aber bestens präpariert zerpflückt die Unionsfraktions-Chefin Schröders Auftritt, dass sich mancher ihrer Anhänger erstaunt die Augen reibt. "Das Land wird nicht schlecht geredet, das Land wird unter Wert regiert", gibt Merkel dem Kanzler Zunder. Der habe den "Blick zurück" gerichtet, aber die Zukunft im Dunklen gelassen. Das ist zweifellos der Schwachpunkt in der Rede Schröders gewesen. Selbst Koalitionspolitiker beklagen dies hinter vorgehaltener Hand. Einmal in Fahrt, wagt sich Merkel auch an heikle Themen heran: "Reden wir über Gesundheitspolitik". Das löst in den SPD-Reihen fast einen Jubelschrei aus. "Seehofer, Seehofer", erschallt es immer wieder. Doch Merkel dreht den Spieß um, indem sie der Regierungsseite vorhält, doch einmal ihr Gegenmodell der Bürgerversicherung "in voller Blüte" darzustellen. An dieser Stelle ebbt die rot-grüne Ausgelassenheit hörbar ab - ein gemeinsames Papier zur Bürgerversicherung sucht man bei den Regierungsparteien immer noch vergeblich. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer nennt den Auftritt seiner Chefin hinterher "ein schönes Kontrastprogramm zu Schröder". Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Volker Kauder kann darin sogar ein "Gefühl der Befreiung" erkennen. Im Klartext: Nach den langen Wochen des Gesundheits-Streits soll endlich wieder Ruhe in die Unionsreihen kommen.

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