"Ungerechtfertigte Schnüffelei"

Berlin . Wie ,,gläsern" muss ein Bundestagsabgeordneter heute sein? Sechs Parlamentarier, vorwiegend Unternehmer und Anwälte, wollen es genau wissen. Sie reichten jetzt Klage beim Verfassungsgericht ein, mit dem Ziel, die vorgeschriebene Veröffentlichung ihrer ,,Nebeneinkünfte" zu Fall zu bringen.

Die Politiker hoffen, dass die Karlsruher Richter in ihrem Urteil "zumindest eine deutliche Abschwächung der Offenlegungspflicht" in bestimmten Fällen empfehlen. Zu den Klägern gehören die Abgeordneten Max Straubinger (CSU), Heinrich Kolb, Sibylle Laurischk und Hans-Joachim Otto (alle drei FDP) sowie Friedrich Merz (CDU) und Peter Danckert (SPD). Mit ihrem Gang vor das höchste deutsche Gericht spitzen die sechs Bundestagsabgeordneten die Debatte um die Unabhängigkeit von Politikern weiter zu. Die neuen, verschärften Regeln über die Offenlegung der Nebeneinkünfte von Parlamentariern waren erst kurz vor Auflösung des alten Bundestages gegen zum Teil heftigen Widerstand, vor allem aus den Reihen der FDP und Teilen der Union, beschlossen worden. Die damalige rot-grüne Bundesregierung hatte den neuen Verhaltenskodex auf massiven öffentlichen Druck hin vorangetrieben. Vorausgegangen waren etliche Skandale über Nebeneinkünfte von Bundestags- und Landtagsabgeordneten. Der Rücktritt des damaligen CDU-Generalsekretärs Laurenz Meyer aus vergleichbaren Gründen ist noch in Erinnerung. Seit dem 1. Januar gelten die neuen "Verhaltensregeln", die mehr Transparenz bei den Einkünften gewährleisten sollen, die Abgeordnete aus Tätigkeiten neben ihrem Bundestagsmandat erzielen. Bis spätestens Ende März müssen nach dem Willen von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) "entgeltliche Nebentätigkeiten" der 614 Abgeordneten im Amtlichen Handbuch und auch auf den Internetseiten des Parlaments veröffentlicht werden, gestaffelt in drei Gruppen: 1000 bis 3500 Euro im Monat, bis zu 7000 Euro und über 7000 Euro im Monat. Eine Spende, die ein Abgeordneter für seine politische Tätigkeit erhält, muss er dem Präsidenten melden, wenn sie über 5000 Euro liegt. Erhält ein Parlamentarier von einem Spender jährlich mehr als 10 000 Euro, muss er dies veröffentlichen. Außerdem ist klargestellt, dass Bundestagsabgeordnete außer deklarierten Parteispenden keine Einnahmen mehr ohne tatsächliche Gegenleistungen haben dürfen. Norbert Lammert kann Verstöße gegen die verbindliche Offenlegungspflicht mit Ordnungsgeldern von bis zu 48 000 Euro ahnden. Allerdings gelten für bestimmte Freiberufler Ausnahmen. Rechtsanwälte zum Beispiel müssen nur dem Bundestagspräsidenten Auskunft über übernommene Mandate sowie über Einnahmen daraus geben. Der FDP-Abgeordnete Heinrich Kolb aus dem hessischen Babenhausen, der zusammen mit seinem Bruder in vierter Generation ein mittelständisches Unternehmen in der Metallbranche führt, sprach gestern gegenüber unserer Zeitung von "ungerechtfertigter Schnüffelei". Würde die Gewinnausschüttung an ihn aus der familieneigenen Firma veröffentlicht, wüssten alle sofort auch, was sein Bruder, der mit Bundespolitik nichts am Hut habe, bekäme. Somit seien dessen Persönlichkeitsrechte empfindlich verletzt. Solche Informationen könnten, so der FDP-Abgeordnete, auch von Konkurrenten der Firma ausgenutzt werden. Kolb: "Sie können daraus Rückschlüsse auf die Situation meines Unternehmens ziehen und dadurch Vorteile im Wettbewerb erzielen."

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