Vergiftetes Klima

US-Präsident Bush erinnert mit seinen zahlreichen Reden zum Irak - am Sonntagabend gab es die fünfte innerhalb weniger Tage - an einen verzweifelnden Stehgeiger beim Kurkonzert, dem bei Regen langsam aber sicher die Zuhörerschaft wegläuft.

Die von Bush verbreiteten Thesen sind sich stets ähnlich: Man sei auf dem "Weg zum Sieg", ein Abzug zum jetzigen Zeitpunkt wäre Feigheit vor dem Feind, und es werde mehr Opfer geben müssen, bis "der Auftrag erfüllt" sei. Gewürzt waren diese Standardformeln zuletzt immer häufiger mit einer Prise Selbstkritik - ein klares Zugeständnis an die zahlreichen Kritiker im eigenen Land, die der Durchhalte-Parolen überdrüssig geworden sind. Bushs Grundproblem ist allerdings weder der Umstand, dass sich seine Ansprachen kaum unterscheiden, noch der Unwillen des Präsidenten, sich - zumindest vage - auf ein zeitliches Abzugsschema festzulegen. Das größte Problem des Texaners liegt mittlerweile in dessen Mangel an Glaubwürdigkeit. Am Freitag noch erfuhren die US-Bürger aus den Medien, dass ihr Präsident einen Teil von ihnen jahrelang durch die berüchtigte NSA ohne richterlichen Beschluss und damit gegen vom Kongress verabschiedete Gesetze verstoßend bespitzeln ließ. Doch Bush glaubt, dem Land in seiner Rede dazu kein einziges Wort zu schulden. Dies offenbart die gleiche Arroganz der Macht, die ihn schon dazu verleitete, die Irak-Invasion ohne breite internationale Rückendeckung und Hilfszusagen sowie ohne eine schlüssige End-Strategie zu beginnen. Eine sachliche und emotionsarme Diskussion über die Realitäten und Notwendigkeiten im Irak ist deshalb kaum mehr möglich. Zumal Bush am Sonntag Andersdenkende schlichtweg als "Defätisten" abkanzelte. In einem solchermaßen vergifteten politischen Klima darauf zu hoffen, dass die Opposition seine Abwarte-Strategie im Irak langfristig ohne zu murren mitträgt, dürfte vergeblich sein. nachrichten.red@volksfreund.de

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