"…und als Star kommst du zurück"

KÖLN. Noch vor wenigen Wochen dümpelte die RTL-Show "Deutschland sucht den Superstar" bei einer Zuschauerzahl von rund vier Millionen. Mittlerweile ist "DSDS" in aller Munde und scheint für die Veranstalter zur Goldgrube zu werden.

Kein vernunftbegabter Film-, Fernseh- oder Musikproduzent würdesich darauf verlassen, dass irgendjemand quasi von selbst zumStar wird. In Hollywood erkannte man das schon sehr früh, genauergesagt, Anfang der 1920er Jahre, als Mädchen wie Clara Bow, MaryAstor und Ginger Rogers systematisch zu Filmgöttinnen aufgebautwurden. Dass man ausgerechnet diese Frauen (und neben ihnen nocheine ganze Reihe anderer und ebenso viele Männer) auswählte, warnatürlich kein purer Zufall: Produzenten, von denen manche dierichtige Nase hatten - und andere mit ihren Entscheidungenauf eben dieselbe fielen -, glaubten durchaus, etwas Besonderesentdeckt zu haben und investierten folglich in ihre Schützlingewie Rennstallbesitzer in ihre Pferde, um größtmögliche Gewinneeinzufahren. Für die Studios war das ein teures, riskantes undrecht zeitraubendes Geschäft: Es dauerte meist mehrere Jahre undFilme, ehe ein Star geboren wurde. Von wegen "über Nacht"! Soviel Zeit hat man bei RTL natürlich nicht, schon allein deswegen, weil die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums ziemlich kurz geworden ist und es in der Natur eines "Hype" liegt, schnelllebig zu sein. Deshalb geht man auch kein allzu großes Risiko ein, wenn man behauptet: Egal, ob Daniel, Juliette, Alexander oder Vanessa als Superstar aus dem Rennen gehen - in einem halben Jahr werden sie wieder in der anonymen Masse verschwunden sein, die auch Zlatko Trpkovski (wer war das noch gleich?) wieder aufgesogen hat.

Die Fernsehmacher haben ihr Ziel längst erreicht

Immerhin einen Pluspunkt hat "DSDS", wie die Sendung von Fans mittlerweile genannt wird (für Nicht-Fans: "Deutschland sucht den Superstar"), vor Container-Formaten wie "Big Brother" und "Girls\' Camp": Präsentierten sich dort ziemlich uninteressante Menschen mit ihren müdigkeitsfördernden Belanglosigkeiten, so produzieren sich bei "DSDS" immerhin Mädchen und Jungen, die glauben, über etwas Besonderes zu verfügen, nämlich ein Gesangstalent, das mehrere Hunderttausend Menschen begeistern und den Interpreten Ruhm, Fans und sehr viel Geld einbringen soll.

Natürlich reicht es nicht aus, singen zu können. Nicht einmal eine grandiose Stimme garantiert eine lange Karriere. Was der Superstar in spe zum professionellen Überleben außerdem noch braucht, sind Energie und Durchhaltevermögen, Kraft und Selbstbewusstsein, eine gehörige Portion Egoismus und Rücksichtslosigkeit, eine stabile Psyche und eine Person, die sich um ihn kümmert und die in keiner Weise von seinem Erfolg profitiert oder durch seinen Misserfolg finanziellen Schaden erleidet. Unter diesen Voraussetzungen könnte es vielleicht - aber auch nur vielleicht - mit der ersehnten Karriere klappen.

Allerdings: Die RTL-Entdeckung ist und bleibt ein synthetischer Star, ein sozusagen im medialen Reagenzglas gezüchtetes Produkt, weniger zur Bereicherung der Musikszene als vielmehr zur Steigerung der Zuschauerquote entwickelt. Dem Sieger fehlt nämlich jene künstlerisch fundierte Entwicklungsgeschichte, die andere, anerkannte Sänger vor dem Durchbruch durch Kneipen, Bars, Schulaulen und intrigengesättigte Talentwettbewerbe geführt hat. Der "Superstar" hat mithin nie jene Seele und Körper strapazierende Ochsentour kennengelernt, bei der sich die langlebigen Talente der Branche ihr Stahl- und Stützkorsett als Entertainer erworben haben.

Weiterhin wird der RTL-Sieger eine Dimension vermissen lassen, die ebenfalls obligatorisch ist für wahres Star-tum: Er hat keine künstlerische Bedeutung, etwa als Erfinder eines neuen oder neuartigen Musikstils (wie die Beatles), ebensowenig eine historische Signifikanz als Leitfigur einer Epoche wie Elvis Presley. Dazu müsste er sich eine soziale Relevanz als Jugendidol erarbeiten, wie es etwa Britney Spears oder Robbie Williams verkörpern. Andererseits: Es tummeln sich gerade im deutschen Trällergewerbe so viele musikalische Nullnummern, die ebenfalls keine der genannten Kriterien vorweisen können und dennoch mit Schlagermüll ordentlich Kohle einfahren. So gesehen wäre der RTL-Superstar in bester Gesellschaft.

Solche Überlegungen dürften den Machern der Sendung allerdings herzlich gleichgültig sein. Sie haben längst ihr Ziel erreicht. Jeden Samstagabend um 21.15 Uhr sind ihnen Traumquoten sicher. Was wiederum zu der Frage führt: Warum versammeln sich mittlerweile mehr als elf Millionen Zuschauer bei "DSDS" vorm Bildschirm? (Zum Vergleich: Der Schlager-Grandprix vor einem halben Jahr lockte beim Deutschland-Finale nur 8,7 Millionen Zuschauer.) Auch dafür gibt es mehrere Gründe: Wettbewerbe, gleich welcher Art, sind seit jeher eine Publikumsattraktion - ob Olympische Spiele im alten Griechenland, Gladiatorenkämpfe im römischen Kolosseum oder Jauchs Wissensmarathon, der immerhin eine Handvoll schon zu Millionären gemacht hat. Alle schauen zu und spüren dabei Bewunderung, Identifikation und dann und wann ein kleines bisschen Neid.

Selig sind die Auserwählten, denn ihrer ist das Rampenlicht: Rund 10 000 Möchtegern-Superstars waren dem RTL-Aufruf gefolgt; für 9990 von ihnen endete der Traum von Ruhm und Geld schneller, als die Reise zum Sender dauerte. Bleibt abzuwarten, ob die Bekanntheit des Siegers oder der Siegerin länger währt als jene fünfzehn Minuten Ruhm, die Andy Warhol jedem Menschen zubilligt, oder genauso schnell zerbröselt wie eine Sandburg am Strand, wenn die Flut kommt.

Dabei funktioniert das Showbusiness im Grunde ganz einfach: Das Prinzip hat eine Figur 1933 in dem Filmmusical "42nd Street" auf den Punkt gebracht. Dort schickt der Regisseur ein unbekanntes Chorus Girl, das für die Hauptdarstellerin einspringen muss, mit dem Satz auf die Bühne: "You\'re going out a youngster, but you\'re coming back a star."

Bis zum Ruhm sind\'s immer nur ein paar Meter. Von diesem Traum wird die Branche ewig leben - und ihr Publikum auch.

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