Alles soll anders bleiben

BERLIN. Früher wurden Landtagswahlen von der Bundespolitik geprägt. Heute entscheiden sie darüber, wie es am Kabinettstisch in Berlin weitergeht. Dieser verblüffende Wandel hat mit dem großkoalitionären Bündnis an der Spree zu tun.

Wer die Wahlkampfveranstaltungen von Union und SPD in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz beobachtet, der wähnt sich in einer verkehrten Welt. Kuschelei statt Krawall, Harmonie statt der üblichen Hau-drauf-Rhetorik - ein Wahlk(r)ampf auf Sparflamme. Am Sonntag finden in drei Ländern die ersten Urnengänge seit Gründung der schwarz-roten Zweckgemeinschaft vor sechs Monaten statt. Die Devise in Berlin lautet: Was immer auch geschehen mag, am besten, es passiert nichts; dann kann auch der großen Koalition nichts passieren. Die Chancen dafür stehen ziemlich gut. Baden-Württemberg wird seit einem halben Jahrhundert von der CDU regiert. Von Wechselstimmung keine Spur. Im Gegenteil. Den Christdemokraten könnte die absolute Mehrheit winken. In Sachsen-Anhalt stellt die Union zwar erst seit 2002 den Landesvater. Doch der ist so beliebt, dass an einer Fortsetzung seiner Amtstätigkeit kaum ein Zweifel besteht. Und in Rheinland-Pfalz residiert ein SPD-Regierungschef, der ebenfalls über fast alle Wahl-Zweifel erhaben ist. Gleichwohl sind die Genossen in Berlin weitaus nervöser als ihr schwarzer Koalitionspartner. Schließlich rangiert man in bundesweiten Umfragen auf einem Niedrig-Niveau, das an die politische Spätphase von Gerhard Schröder erinnert. Trotzdem kann die SPD nach allen Vorhersagen am Sonntag nur gewinnen. Immerhin scheint eine Regierungsbeteiligung in Sachsen-Anhalt zum Greifen nah. Weil der amtierende Koalitionspartner FDP dort schwächelt, steigen in Magdeburg die Chancen für Schwarz-Rot. Eine bessere Empfehlung für ein gedeihliches Zusammenwirken auf dem Berliner Parkett lässt sich kaum denken. Bleiben die kleinen Bundestagsparteien. Sowohl in Magdeburg als auch in Stuttgart und Mainz sitzt die FDP mit am Kabinettstisch. Der Verlust einer einzigen Regierungsbeteiligung würde die Liberalen im Bundesrat in die politische Bedeutungslosigkeit stürzen. Bislang können die Blau-Gelben in der Länderkammer noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit verhindern, wie sie etwa für die anstehende Föderalismusreform gebraucht wird. Geht den Liberalen nur ein Land verloren, ist das nicht mehr der Fall. Bei der Linkspartei geht man nicht ernsthaft von einem Einzug in den Stuttgarter oder Mainzer Landtag aus. Auch in Sachsen-Anhalt richtet sich die Linkspartei auf eine Fortsetzung ihrer Oppositionsrolle ein. Für die Berliner Parteistrategen ist das kein Beinbruch: Eine weitere Regierungsbeteiligung, so das Kalkül, würde die angestrebte Fusion mit der oppositionsfixierten WASG eher behindern als fördern. Und die Grünen? Für die kleinste Kraft im Bundestag geht es am Wochenende ebenfalls um einen Achtungserfolg. In ihrer Hochburg Baden-Württemberg ist ein zweistelliges Wahlergebnis möglich. Vor fünf Jahren waren es nur 7,7 Prozent. Auch in Rheinland-Pfalz (2001: 5,2 Prozent) dürfte man sich leicht verbessern. In Sachsen-Anhalt wird es dagegen wohl bei der außerparlamentarischen Opposition bleiben. Unter dem Strich sind die Grünen weiterhin in keiner Landesregierung vertreten. Am Ende muss der Wähler nur noch so abstimmen, wie von den Parteien erwartet. Sorgt er für unliebsame Überraschungen, ist es mit der Gemütlichkeit im Berliner Regierungsviertel vorbei. Die SPD dürfe nicht ernsthaft verlieren, bangt man in der Union. So viel verkehrte Welt war selten.

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