"Alter darf kein Maß für Medizin sein"

TRIER. Bei Medizinern stößt der Vorschlag der Sozialethiker, medizinische Leistungen für Ältere einzuschränken, auf massive Kritik. Wir sprachen mit dem Trierer Gerontologen Roland Hardt.

Herr Hardt, können Sie die Sozialexperten überhaupt ernst nehmen?Hardt: Nein. Die Ansichten dieser Herren sind aus Sicht der Altersmedizin von wenig Sachkenntnis geprägt. Dieser Herr Breyer verteidigt seinen Vorschlag, weil doch 75 Jahre ohnehin die durchschnittliche Lebenserwartung sei. Das ist kompletter Stuss. Die Herren sollten daran denken, dass sie über die Generation ihrer Eltern reden. Eine unselige Debatte also? Hardt: Mit welcher Begründung sollen ältere Menschen von medizinischen Behandlungen ausgeschlossen werden. Das biologische Alter ist ein schlechtes Maß, zu sagen, bis dahin behandeln wir, und danach machen wir nichts mehr. Man kann doch einem 50-Jährigen, der sein Leben lang seine Gesundheit geschändet, geraucht, sich nicht bewegt und falsch ernährt hat, nicht eine Herz-OP bezahlen - und dem 80-Jährigen, der immer gesund gelebt hat und nun aus einen dummen Zufall stürzt und sich den Schenkelhals bricht, kein neues Hüftgelenk mehr spendieren. Andererseits stehen dem medizinisch Machbaren die Sparzwänge im Gesundheitswesen gegenüber. Besteht nicht die Gefahr, dass über einen solchen Vorschlag in Zukunft häufiger diskutiert wird?Hardt: Die Gefahr sehe ich durchaus. Ich habe bloß nicht erwartet, dass der Vorschlag so schnell auf den Tisch kommt und dann noch aus dieser Ecke. Ich fürchte aber, dass darüber bald schon ernsthaft diskutiert wird. Dann muss entschieden werden: Wie viel sind wir bereit, von unserer Wirtschaftskraft in die Gesundheit hineinzustecken. Wie sieht eine Medizin für alte Menschen aus? Hardt: Sie brauchen eine altersgerechte, spezifische und bezahlbare Medizin. Dafür steht mein Fachgebiet, die Geriatrie. Wir haben eine zielgerichtete Behandlung etabliert, die Sinnvolles tut, und Dinge, die nur Geld kosten, unterlässt. Damit ist sichergestellt, dass auch sehr alte Menschen eine für sie passende Medizin erfahren können. Natürlich muss auf den Prüfstand, ob alles, was technisch möglich auch für alte Menschen sinnvoll ist. Aber wie lange sind die Mediziner noch Herr des Geschehens? Schwebt nicht irgendwann das Damokles-Schwert des Sparens um jeden Preis über den Ärzten und sie können nicht mehr alles medizinisch Notwendige leisten?Hardt: Das ist doch mittlerweile schon so. Wir haben doch schon längst eine schleichende Rationierung im Gesundheitswesen. Ich wehre mich aber dagegen, dass alles, was gespart werden muss, bei den Alten abgezogen werden soll. Genauso kann man fragen, ob jede Therapie bei Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen wirklich so sinnvoll und effizient ist. Wir sind ja mittlerweile Weltmeister bei Herzkathetern. Das Gespräch führte unser Redakteur Bernd Wientjes.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort