Angst vor klaren Aussagen

BERLIN. Jenseits der deprimierenden Möglichkeit, dass der Krieg beim Druck dieser Zeitung schon begonnen haben kann, ist eine Frage in den Mittelpunkt gerückt, deren Beantwortung sowohl Bundesregierung als auch Opposition nachhaltig scheuen - die einer möglichen Verletzung des Völkerrechts.

Bislang hat sich die Bundesregierung geweigert, Stellung zu beziehen - aus gutem Grund: Käme die Prüfung der Rechtslage zu dem Schluss, der Krieg sei als Angriffskrieg zu werten und verstoße gegen die Charta der Vereinten Nationen, wären die Folgen unabsehbar. Aus diesem Grund hütet sich auch die Union, die Frage der Völkerrechtswidrigkeit zu klären. Käme sie nämlich zu dem Ergebnis, entzöge sie ihrer Argumentation die Grundlage. Deshalb reden sowohl Bundeskanzler Gerhard Schröder als auch Oppositionsführerin Angela Merkel nach außen hin anders, als sie klammheimlich denken. Vor allem für den Bundeskanzler hätte das Eingeständnis der Rechtswidrigkeit Folgen: Schröder müsste, wollte er einem rechtswidrigen Angriffskrieg nicht Vorschubleisten, seine Zusage an die amerikanische Regierung nach Nutzung der US-Basen und Gewährung der Überflugsrechte widerrufen. Zusätzlich wäre er gezwungen, deutsche Soldaten aus den Awacs-Aufklärungsflugzeugen abzuziehen. Angesichts der ohnehin schwer beschädigten transatlantischen Beziehungen schreckt Schröder vor solch tiefgreifenden Maßnahmen zurück. Auch CDU und CSU wollen nicht genau wissen, ob das Völkerrecht durch Bomben auf Bagdad verletzt wird. Schließlich haben die Christenparteien den US-Präsidenten selbst noch verteidigt, als erkennbar wurde, dass die USA ihre Zielrichtung nach Gutdünken änderten und die Entwaffnung des Diktators zum Vorwand nahmen, den Krieg zu legitimieren. Selbst die Erfolge der Waffeninspektionen und das Fehlen des schlüssigen Beweises sowie die ablehnende Haltung des UN-Sicherheitsrates haben die Union nicht davon abgehalten, Amerika zu unterstützen. Das Eingeständnis, der Krieg sei völkerrechtswidrig, würde den Zwang begründen, sich von den USA zu distanzieren. Also tut man so, "als ob". Hilfsweise bezieht man sich auf die UN-Resolution 1441, die dem Irak "ernsthafte Konsequenzen" angedroht habe. Schröder und Merkel weisen gern auf die "unterschiedlichen Auffassungen" der Völkerrechtler hin, womit sie den Eindruck erwecken wollen, das Problem lasse auch andere Interpretationen zu. Dabei kann die Sachlage im Fall des Irak klarer kaum sein. Eine erdrückende Mehrheit der Völkerrechtler vertritt diese Auffassung. Auch für Laien ist ersichtlich, dass es sich nicht um einen Akt der Selbstverteidigung handeln kann, schon weil der militärische Zwerg Irak gar nicht fähig ist, die USA oder Großbritannien anzugreifen. Der Verstoß gegen das Völkerrecht, das jeden Angriffskrieg verbietet, wird nur von denen in Frage gestellt, die ein politisches Interesse an der Offenhaltung der Frage haben. Im Falle des Kanzlers steckt noch ein anderes, verständliches Motiv dahinter: Er will sich vor Strafverfolgung schützen. Mehrere Bürger und Organisationen, darunter die PDS, haben Strafanzeige gegen Gerhard Schröder gestellt. Vorwurf: Verdacht der Unterstützung eines Angriffskrieges nach Paragraph 80 Strafgesetzbuch in Verbindung mit Artikel 26 Grundgesetz. Höchststrafe: "lebenslänglich".

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