Auch den Langsamen eine Chance

Die FDP-Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin will den EU-Vertrag trotz des Neins mehrerer Staaten umsetzen.

Berlin/Brüssel. Nach dem Nein in Irland und Polen droht der EU-Reformvertrag zu scheitern. Doch die Länder, die die EU-Reform wollten, dürften sich nicht aufhalten lassen, meint die Vorsitzende der FDP im Europaparlament, Silvana Koch-Mehrin, im Gespräch mit unserem Korrespondenten Werner Kolhoff. Ist der EU-Reformvertrag tot? Koch-Mehrin: Nein, denn eine EU mit so vielen Mitgliedern braucht zwingend eine neue Arbeitsgrundlage. Und die allermeisten Mitglieds-Staaten wollen den Lissabon-Vertrag.Aber eben nicht alle, was ebenso zwingend nötig ist. In vier von 27 Staaten gibt es Schwierigkeiten.Koch-Mehrin: Die Gründe sind jeweils sehr unterschiedlich. In Irland gab es einen Volksentscheid, der gescheitert ist. Dort überlegt man jetzt, wie man doch noch einen Meinungsumschwung in der Bevölkerung hinbekommt. In Polen ist das Hindernis der Präsident, der immer wieder Stress macht. Er will mit seinem Nein populistische Stimmungen schüren. Wie soll die EU mit ihm umgehen? Koch-Mehrin: Die EU sollte kein Land, das den Vertrag partout nicht annehmen will, dazu zwingen. Ich fordere nicht den Ausschluss eines Mitglieds, was auch gar nicht möglich ist, und ich fordere auch kein Land zum Austritt auf. Aber die EU sollte sagen: Okay, ihr könnt entweder Mitglied auf Grundlage des Lissabon-Vertrages sein, oder wir müssen andere Formen der Zusammenarbeit mit euch finden.Sollte man solchen Ländern den Status eines assoziierten Mitgliedes geben?Koch-Mehrin: So weit muss man nicht gehen. Es gibt schon jetzt unterschiedliche Formen der Mitgliedschaft. Wichtig ist, dass jedes Land jederzeit wieder überall mitmachen kann, und zwar auf Grundlage des Lissabon-Vertrages.Das ist die Methode Pistole auf die Brust. Koch-Mehrin: Die EU ist mehr als ein gemeinsamer Markt. Sie braucht eine vernünftige vertragliche Arbeitsgrundlage. Wer dabei ist, ist dabei, wer nicht, eben nicht. Die, die weitergehen wollen, dürfen nicht aufgehalten werden. Stress macht auch Bundespräsident Horst Köhler, denn er will den Vertrag bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht unterschreiben. Koch-Mehrin: Ich halte das für vernünftig, denn das Bundesverfassungsgericht hat den Bundespräsidenten gebeten, mit seiner Unterschrift bis zum Ende des Verfahrens zu warten. Das bedeutet ja nicht, dass Köhler Vorbehalte gegen den Vertrag hätte. Dann wird aber das Ziel, bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 den Vertrag überall in Kraft zu setzen, nicht erreicht.Koch-Mehrin: Ich glaube, dass das Bundesverfassungsgericht vor den Wahlen fertig wird. Für die Bürger ist wichtig, dass das nächste Europa-Parlament auf der neuen vertraglichen Grundlage arbeiten kann. Vor den Wahlen sollte es deshalb in allen Ländern eine Entscheidung geben.Tschechien ist das vierte schwierige Land.Koch-Mehrin: Dort gibt es beides, eine Verfassungsüberprüfung und einen Präsidenten, der, anders als Horst Köhler, den Vertrag nicht will. Auch Tschechien sollte sich bis zum nächsten Sommer entschieden haben. Fakt ist doch: Es gibt bereits unterschied liche Geschwindigkeiten in Europa. Ich halte es überhaupt nicht für einen Beinbruch, wenn man den Ländern, die große Probleme mit der EU haben, sagt: Nun, dann geht ihr bei der Integration eben etwas langsamer. EXTRA Silvana Koch-Mehrin, Jahrgang 1970, ist eine deutsche FDP-Politikerin und Unternehmensberaterin. Sie war stellvertretende Vorsitzende der Jungen Liberalen. Seit 1999 gehört sie dem Bundesvorstand der FDP an. Als Spitzenkandidatin der FDP bei der Europawahl 2004 führte Koch-Mehrin ihre Partei nach zehnjähriger Abstinenz in das Straßburger Parlament zurück.

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