Beliebt, gelobt, verboten

TRIER. Umsorgte deutsche Senioren und zufriedene osteuropäische Betreuerinnen - da schließt man in vielen Familien die Augen vor der Tatsache, dass solche Beschäftigungsverhältnisse illegal sind. Auch der Staat sieht gerne weg, behaupten Kritiker. Gründe dafür gäbe es: Auch er spart eine Menge Geld.

"Ist das wirklich so illegal?" Henrik Eder (Name geändert) ist erstaunt. Wie er seine 90-jährige Mutter so lassen allein in seinem Wohnort in der Region Trier gleich mehrere Familien betagte Angehörige von Frauen aus Polen pflegen! Was so weit verbreitet ist, kann doch nicht verboten sein? Ein Trugschluss. Denn Osteuropäerinnen erhalten hierzulande in aller Regel keine Arbeitserlaubnis, weil es nach Ansicht der Behörden genug deutsche Pflegerinnen gibt. Henrik Eder entschied sich, eine Betreuerin zu engagieren, als seine bei ihm lebende Mutter immer "wackeliger auf den Beinen" wurde. "Ich kam nicht mehr weg", erzählt er. "Ich konnte sie weder mitnehmen noch alleine lassen." Im Dorf gab es damals Frauen, die schon seit Jahren von Polinnen versorgt wurden - und über diese Kontakte fand er seine Hilfskraft. Richtige Netzwerke zur Vermittlung illegaler Arbeitskräfte sollen inzwischen entstanden sein. Kommt ein alter Mensch ins Krankenhaus, klingelt jemand bei den Angehörigen an der Tür und weist auf die "praktische" Lösung hin. Es soll Fälle gegeben haben, in denen ein Auto mit polnischem Nummernschild Pflegediensten folgte - und diese ein paar Tage später die Kündigungen ihrer Kunden im Briefkasten hatten. Es ist ja auch verlockend: Die alten Menschen haben eine feste Bezugsperson, die rund um die Uhr für sie da ist, einkauft, putzt, kocht und mit ihnen spielt. Dafür zahlen sie - bei freier Kost und Logis - zwischen 600 und 1000 Euro im Monat. Das riecht nach Ausbeutung, ist aber auch für die Betreuerin durchaus attraktiv: Arbeitet sie drei Monate lang für 800 Euro, fährt sie mit dem Jahresgehalt einer polnischen Krankenschwester zurück nach Hause."Pflegerin" kann kaum Deutsch

Drei Monate bleibt die Polin der Eders, so lange gilt ihr Touristenvisum. Danach fährt sie für eine Woche nach Hause. "Meine Mutter ist rundum zufrieden", berichtet Henrik Eder. Schwierigkeiten? "Nun ja, die Polen kochen halt anders", lacht er. Doch das einzige wirkliche Problem sei die Sprache: "Die Frau kann kaum Deutsch." Ein verbreitetes Phänomen. Experten warnen davor, dass alte Menschen in solcher Gesellschaft verstummten. Zudem seien die meisten Betreuerinnen Laien und pflegten Senioren oft zu Pflegefällen, anstatt sie - wie es etwa für Heime vorgeschrieben ist - zur Selbstständigkeit anzuleiten. Jemanden im Rollstuhl zu schieben ist eben bequemer, als ihm beim Gehen zu helfen. Ein weiteres Risiko: Die meisten osteuropäischen Pflegekräfte haben hier keinen Krankenversicherungsschutz. Was, wenn sich ihr Blinddarm entzündet oder sie sich ein Bein brechen? Die größte Gefahr aber besteht wohl darin, aufzufliegen. Zwar haben findige Köpfe inzwischen offenbar eine Möglichkeit gefunden, wie deutsche Senioren Osteuropäerinnen engagieren können, ohne die Gesetze zu brechen: Eine Agentur aus Thüringen zum Beispiel hilft Polinnen und Slowakinnen, sich in ihrer Heimat selbstständig zu machen. Damit dürften sie ihre Dienste "ganz legal", wie Vermittler Helmut Lettau unterstreicht, in Deutschland anbieten. Da die Frauen Steuern zahlen, liegen die Kosten etwas höher als die für ihre illegal beschäftigten Kolleginnen, die die überragende Mehrheit stellen. Der Zoll konzentriere sich derzeit auf Bereiche, in denen es um mehr Geld für den Staat gehe, sagt Wolfgang Hohl vom Sachgebiet Finanzkontrolle/Schwarzarbeit des Hauptzollamts Koblenz. Doch Hinweisen auf illegale Beschäftigungsverhältnisse müsse man in der Regel nachgehen. Künftig werde man auf diesem Gebiet verstärkt tätig, kündigt Hohl an. Denn in den kommenden Jahren steige die Zahl der Kräfte zur Kontrolle von Schwarzarbeit in Rheinland-Pfalz von 110 auf 190. Kritiker werfen den staatlichen Stellen vor, zu zögerlich gegen die illegale Betreuung vorzugehen. In der Tat spricht einiges dafür, dass sich das Interesse des Staates an einer Bekämpfung in Grenzen hält. Die Leistungen der Pflegekassen liegen meistens unter den Kosten für eine Betreuung durch Pflegedienste oder in Heimen. Die Differenz zahlen die Senioren, deren Angehörige oder - in den vielen Fällen, in denen dort nichts zu holen ist, - das Sozialamt. Ohne die Osteuropäerinnen dürften erheblich höhere Belastungen auf die öffentlichen Haushalte zukommen. Auch die Pflegekassen profitieren von der illegalen Beschäftigung: Wer Pflegebedürftige selbst zuhause versorgt oder versorgen lässt, erhält Geldleistungen. Übernehmen professionelle Kräfte diesen Job, werden die - deutlich höheren - Sachleistungen fällig. All das trägt dazu bei, dass viele illegale Arbeitgeber denken wie Henrik Eder. "Ich bin eigentlich einer von der ehrlichen Sorte", sagt er. "Ich mag keine Schummeleien bei Finanzamt oder Versicherungen. Aber ich beruhige in diesem Fall mein Gewissen damit, dass beide einen Vorteil haben: Meine Mutter ist gut versorgt, und die Polin weiß, was sie verdient."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort