Clement schwankt, Stolpe wankt

BERLIN. Mit Appellen zur Disziplin und konsequenten Fortsetzung des Reformkurses will die SPD-Spitze nach dem Führungswechsel wieder Ruhe in die Partei bringen. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement dementierte Berichte, er werde als Vize- Parteivorsitzender zurücktreten.

Das hätte sich der glücklose Bundesverkehrsminister nicht träumen lassen: Von allen Seiten kritisch befeuert, suchte Manfred Stolpe dieser Tage im vertrauten Cottbus Zerstreuung und Labsal - und stieß auf das genaue Gegenteil. Bei der Aufzeichnung einer Fernsehschow in der Stadthalle scholl ihm bei der Begrüßung ein gellendes Pfeifkonzert entgegen. Ein bitterer Moment für den Ost-Minister, der ebenso wie mindestens drei weitere Kollegen um sein Amt im Kabinett des Kanzlers Gerhard Schröder fürchten muss.In Berlin dreht sich die Diskussion längst nicht mehr um das "ob” einer Kabinettsumbildung, sondern um das "wann”. Vier bis fünf Kandidaten stehen vor der Entlassung, weil weder der Kanzler, noch die SPD oder gar die Bevölkerung mit ihnen zufrieden sind. Noch ziert sich Schröder, zum Vollzug zu schreiten, doch mehr aus taktischen Erwägungen: Er will eine Schamfrist verstreichen lassen, damit nicht der Eindruck entsteht, er habe den Forderungen mosernder Parteifreunde nachgegeben. Zudem ist der Kanzler dem Vernehmen nach noch auf der Suche nach geeignetem Nachfolgepersonal. Angesichts der ausgedünnten SPD-Personaldecke kein leichtes Unterfangen.Schröder muss reagieren, denn die kritischen Stimmen wollen nicht verstummen. Nachdem vergangene Woche der niedersächsische Landesvorsitzende Wolfgang Jüttner den Kanzler mit dem Hinweis auf "verbrauchte” Minister erzürnt hatte, legte am Dienstag der ehemalige Staatssekretär Stephan Hilsberg nach: "Man kommt um eine Kabinettsumbildung nicht herum, die muss sein”, sagte er in einem Interview. Andere Genossen äußern sich anonym, sagen aber das gleiche. Wieder andere, wie der nordrhein-westfälische Regierungschef Peer Steinbrück, beschimpfen die Kritiker als "illoyale” Kollegen, die unter "politischer Inkontinenz” litten. Hinter diesem medizinischen Fachausdruck verbirgt sich die Unfähigkeit, körperliche Entsorgungsprodukte bei sich zu halten.Als Wackelkandidaten im Kabinett gelten: Sozialministerin Ulla Schmidt, die an der Gesundheitsreform zu scheitern droht und die halbe Nation gegen sich aufgebracht hat. Finanzminister Hans Eichel, der sich im Finanz- und Steuergestrüpp des Bundes verheddert hat. Verkehrsminister Manfred Stolpe, der völlig überfordert wirkt und das Maut-Problem nicht in den Griff bekommt. Bildungsministerin Edelgard Bulmahn, die das Zukunftsthema Innovation nicht transportieren kann. Und Innenminister Otto Schily, der bereits vor zwei Jahren amtsmüde war und mit seinem einsamen BKA-Umzugsbeschluss eine ganze Behörde gegen sich aufgebracht hat.Auch die weniger gefährdeten Minister verbreiten wenig Glanz, haben aber immerhin keinen Anlass zur Diskussion geliefert. Brigitte Zypries (Justiz), Renate Schmidt (Familie), und Heidi Wieczorek-Zeul (Entwicklungshilfe) werkeln still vor sich hin. Die grünen Amtsträger Joschka Fischer (Außen), Renate Künast (Ernährung) und Jürgen Trittin (Umwelt) sorgen zuweilen für Schlagzeilen und fallen wenigstens durch eine gewisse Cleverness auf. Bleiben noch Verteidigungsminister Peter Struck, der als einziger Minister durchweg gute Noten erhält, und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement - der sich zum Sorgenkind entwickeln könnte.Clement, bis Herbst 2002 Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und dort Hansdampf in allen Gassen, hat in der Hauptstadt die rauhe Wirklichkeit der rot-grünen Regierungsarbeit kennen gelernt. Übermotiviert versucht er seit anderthalb Jahren, die SPD von der Notwendigkeit einschneidender Reformen zu überzeugen, ist dabei aber mehrfach gegen die Wand gerannt. Bei seinen Herzensanliegen (Lockerung des Kündigungsschutzes und Novelle Handwerksordnung) musste er verwässernde Kompromisse eingehen. Nach Lage der Dinge muss er auch die vom künftigen Parteivorsitzenden Franz Müntefering favorisierte Ausbildungsabgabe schlucken, die er vehement ablehnt.Missmutiger Minister

Überhaupt Müntefering. Seit dessen Aufstieg zur Nr. 1 der SPD fest steht, ist Clement verschnupft. Missmutig saß der Minister am Mittwoch in der Fraktion und ignorierte gar den designierten Generalsekretär Klaus Uwe Benneter, der ihm die Hand zum Gruße reichen wollte. Clement ist alles andere als begeistert über die Spitzenkarriere des alten Rivalen Müntefering, mit dem er schon in NRW (dort war "Münte” lange Landesvorsitzender) nicht gut zurecht kam. Angeblich überlegt Clement sogar, sein Amt als SPD-Vize aufzugeben, weil er fürchtet, unter einem Vorsitzenden Müntefering Abstriche an seinem Reformkurs vornehmen zu müssen. Außerdem ist er sauer, dass Schröder ihn nicht in seine Rückzugspläne eingeweiht hatte. Nachdem ihm der Kanzler und die NRW-Landesgruppe im Bundestag aber gut zugeredet hatten, dementierte er am Nachmittag lau entsprechende Meldungen: "Zurzeit” stehe ein Rückzug nicht zur Debatte. Auch Müntefering versuchte die Wogen zu glätten und sagte nach einer "temperamentvollen” Fraktionssitzung, die SPD müsse sich nun "zusammenreißen”.

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