Cool und sexy im zweiten Leben

TRIER. Eine virtuelle Welt mit Traumlandschaften, Reichtümern und einem ebenso schönen wie erfolgreichen eigenen Ich ist zu einem weltweiten Phänomen geworden. Die Online-Welt "Second Life" hat fast vier Millionen Einwohner, pro Woche kommen weitere 200 000 dazu. Dabei wird das "zweite Leben" dem ersten immer ähnlicher – inklusive Handel, Dienstleistungen und Politik.

"Second Life", vor vier Jahren von der Software-Schmiede Linden Lab in Kalifornien entwickelt und etabliert, ist kein Spiel, denn auch in der virtuellen Welt geht es um echtes Geld. Mehr als eine Million US-Dollar werden mittlerweile pro Tag durchschnittlich umgesetzt. Tendenz steigend. Ein realer Immobilienmakler, das italienische Unternehmen Gabetti Property Solutions, hat vor kurzem in der virtuellen Welt ein Büro eröffnet - mit fünf echten Mitarbeitern und einem Investitionsvolumen von 100 000 Euro. Ein Schritt, der sich lohnen könnte. Grundstücks-Spekulationen haben bereits eine amerikanische "Second Life"-Bewohnerin zur - echten - Millionärin gemacht.Kommunizieren und interagieren

Doch die meisten "Residents", so heißen die Nutzer der virtuellen Welt im Fachjargon, haben simplere Interessen. Sie wollen kommunizieren, interagieren, andere Nutzer treffen. Man bewegt sich in "Second Life" mit einem virtuellen Abbild des eigenen Ichs, dem so genannten "Avatar". Dieser bietet den entscheidenden Vorteil, der biologischen Vorlage nicht entsprechen zu müssen. So kann jeder ein cool und sexy aussehendes zweites Ich nach eigenen Vorstellungen erschaffen und sich damit um Kontakte, Prestige und Unterhaltung bemühen. Viele Mitglieder genießen es, mit Menschen aus der ganzen Welt ins Gespräch zu kommen. 100 000 der "Second Life"-Bewohner kommen aus Deutschland. In der mittlerweile 360 Quadratkilometer großen Welt plaudert man beim Kaffeeklatsch, flirtet am Pool oder am Strand, trifft sich zur After-Work-Party, besucht Konzerte oder macht eine Probefahrt mit einem Traumwagen. Doch mehr als die Probefahrt ist nicht drin. Wer den virtuellen Boliden - viele große Autohäuser haben virtuelle Filialen - tatsächlich besitzen will, muss zahlen. Die Währung in "Second Life" ist der Linden-Dollar, und dieser fließt reichlich in einer boomenden Marktwirtschaft. Ein echter Dollar ist 270 Linden-Dollars wert.20 000 Unternehmer kämpfen um den Markt

Wer Linden-Dollars ausgeben will, muss sie verdienen oder im ersten Leben sein Bankkonto anzapfen, um Geld ins "Second Life" zu pumpen. 20 000 Unternehmer von Adidas bis Sony bieten Waren und Dienstleistungen an, der Markt ist hart umkämpft. Das zweite Leben hat auch ihre eigenen Medien, der "AvaStar" bietet Nachrichten aus der Parallelwelt. Die "Residents" geben den Linden-Dollar offenbar sehr gerne aus. Sie wollen schicke Kleidung, Tatoos, Yachten, Häuser. Manchen gelingt es, sich diese Wünsche nicht mit ihrer im ersten Leben hart erarbeiteten realen Währung finanzieren zu müssen. Sie schaffen mit Kreativität und Fantasie Produkte oder Dienstleitungen, die für andere "Residents" interessant sind - etwa ein "Second Life"-Rundgang für Neulinge oder Computer-Kurse. Und schon rollt der Linden-Dollar. Es ist allerdings im zweiten Leben nicht leichter als im ersten, wirklich reich zu werden. Wer vermutet, "Second Life" werde von in der Realität kontaktarmen 14-jährigen Computer-Freaks bevölkert, liegt völlig falsch. Die Nutzer sind im Schnitt 32 Jahre alt, interneterfahren und einkommensstark. Sie verbringen pro Monat 20 Stunden im zweiten Leben. 52 Prozent kommen aus Europa. Jeden Tag gibt es neue Parallelen zwischen dem ersten und zweiten Leben. Schweden hat als erstes Land eine Botschaft in "Second Life" eröffnet. Der französische Wahlkampf hat sich vor dem ersten Wahldurchgang am 22. April in die virtuelle Welt verlagert. Nach Jean-Marie Le Pen, dem Präsidentschaftskandidaten der rechten Front National, folgte die Topkandidatin der sozialdemokratischen Parti Socialiste, Segolene Royal, mit einer Präsenz in "Second Life" in Form eines Komitees mit dem Titel "Desirs d'avenir" (Zukunftswünsche).

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort