"Da habe n wir Geschichte gemacht"

Es ist wie ein Ausflug in eine andere Welt: Der Versuch, zu rekapitulieren, wie vor 20 Jahren, mitten im betonierten Ost-West-Verhältnis, das Pflänzchen der Städtepartnerschaft Trier-Weimar blühen konnte. Obwohl die "große Politik" fast unüberwindliche Hürden auftürmte. Obwohl die Stasi ihre Kraken-Arme überall im Spiel hatte. Obwohl Angst und Vorsicht ein normales Verhalten fast unmöglich machten. Zwanzig Jahre später reden die Beteiligten in Weimar mit erstaunlicher Offenheit über das, was damals passierte. Sie ermöglichen dadurch eine spannende Suche nach den Spuren einer Epoche, die heute unglaublich weit zurückzuliegen scheint. Gemeinsam mit Alt-Oberbürgermeister Helmut Schröer, der 1987 ebenso wie sein Amtsvorgänger Felix Zimmermann eine entscheidende Rolle spielte, hat sich TV-Redakteur Dieter Lintz nach zwei Jahrzehnten an Original-Schauplätzen in Weimar mit den Akteuren von einst getroffen. Egal, auf welcher Seite sie seinerzeit standen: Ihre freimütigen Aussagen beleuchten ein Stück deutsch-deutsche Geschichte. Und sie zeigen, warum die Partnerschaft der beiden Städte auch heute noch tief verwurzelt ist.

"Genau da hat unser Doppeldecker-Bus gestanden. Und sonst weit und breit weder ein Mensch noch ein Auto". Der Weimarer Marktplatz lässt bei Helmut Schröer Erinnerungen wach werden. Auf den Tag genau vor 20 Jahren, am 22. Mai 1987, fuhr zum ersten Mal eine Trierer Delegation in Weimar vor. Der Besuch zwecks Aushandeln eines Partnerschafts-Vertrages war vor Ort sorgfältig vorbereitet. "Die wollten nicht, dass wir irgendwelche ,Normalbürger' treffen", sagt Schröer. In der Zeitung war der Besuch nur mit wenigen Zeilen erwähnt, kein Wort von Städtepartnerschaft. Ein strammes Rund-um-die-Uhr-Besuchsprogramm mit ausgewählten Funktionären sollte die Trierer von Eskapaden abhalten. Man logierte im von der Stasi sorgfältig verwanzten Hotel "Elephant". Noch zwei Jahrzehnte später kennt Schröer jeden Raum, erinnert sich an die Sitzordnung beim Essen. Zwei Häuser neben dem Elephant, wo heute eine 08/15-Boutique residiert, war das Hauptquartier der Opposition - ein Musikalien-Antiquariat. Auf abenteuerlichem Weg hatte man telefonisch in Trier um Kontakt-Aufnahme gebeten. Fast konspirativ verständigte sich der damalige Bürgermeister mit den beiden Männern, die suchenden Blickes aus dem Laden kamen. Spät in der Nacht, nach Abschluss des offiziellen Programms, gab es dann die ersten Gespräche. Ein Abenteuer für die Trierer, eine Existenzfrage für ihre Weimarer Gesprächspartner. Der Funktionär Wie schnell und hart der Apparat zuschlagen kann, das hatte kurz zuvor ausgerechnet einer zu spüren bekommen, der als besonders linientreuer SED-Mann galt. Der Weimarer Vizeoberbürgermeister Karl-Heinz Dennhardt war im Dezember 1986 ausgewählt worden, um die erste Weimarer Delegation in Trier zu leiten. Der Kampfauftrag war klar: Den bundesrepublikanischen Städte-Partner auf griffige gemeinsame Erklärungen zur Erhaltung des Weltfriedens festzulegen, aber Bürgerkontakte möglichst zu vermeiden. Die Trierer wollten das Gegenteil: Kein allgemeinpolitisches Entgegenkommen, aber möglichst viele Bürgerbegegnungen. Was er da für ein Himmelfahrtskommando übernommen hatte, dämmerte Dennhardt erst später. Aber da war er bereits aus dem Verkehr gezogen.Wir treffen den heute 76-Jährigen vor dem Café Goethe. Er erzählt beredt, wie seine Delegation damals gen Trier fuhr, in der Erwartung, den finsteren Klassenfeind zu treffen. "Aber das waren lauter freundliche, offene Leute". Man ließ sich von der Atmosphäre anstecken - und wagte sich weiter vor, als die Partei erlaubte. Dennhardt nahm gegen den Rat seiner Oberen an einer Pressekonferenz in Trier teil und sagte dort, was er nie hätte sagen dürfen: Eine Partnerschaft sei nur sinnvoll, wenn sie menschliche Kontakte ermögliche. Als er nach Weimar zurückkehrte, erwartete ihn am Bahnsteig schon sein Fahrer. Rapport bei der Kreisleitung: Er sei dem Klassenfeind auf den Leim gegangen. Aber Dennhardt ("Da bin ich stur geblieben") weigerte sich, Selbstkritik zu üben. Er wurde krank geschrieben, ein halbes Jahr aus dem Verkehr gezogen und fand sich danach statt im Rathaus bei einer Literatur-Forschungs- und Gedenkstätte wieder. Der Skeptiker Andreas Langer ist ein Mensch der leisen Töne. Im Wortsinn. Auch mit 48 sieht er noch ein bisschen aus wie ein großer Junge. Das öffentliche Leben meidet er, mit Politik hat er nicht mehr viel am Hut. Und doch war sein Musikantiquariat Kossmann vor 20 Jahren ein Schlüssel-Ort für die Partnerschaft Trier-Weimar. Dort war die Anlaufstelle für Oppositions-Kontakte, dort war nach der Wende 1989 auch die Organisations-Zentrale für den großen Trier-Besuch der Weimarer Bürger. Nie werde er, sagt Langer, den Samstag vergessen, als auf seine Initiative hin eine kleine Notiz in der Lokalpresse stand: Bürger, die Interesse hätten, Trier zu besuchen, sollten sich in seinem Laden melden. Als er morgens früh zum Markt kam, habe sich schon eine 100 Meter lange Schlange über den ganzen Platz gezogen. 1600 Anmeldungen, eine Karawane von Bussen - und etliche Freundschaften, die bis heute halten, waren die Folge seiner spontanen Idee.Seither ist persönlich nicht alles so gelaufen, wie Andreas Langer es sich vorgestellt hat. Seinen Musikalienhandel hat der Markt aufgefressen, zurzeit schult er auf Heilpraktiker um. In der Nachwendezeit sogar einmal OB-Kandidat, will er von Politik heute nichts mehr wissen. Etwas zu verändern, das sei womöglich "heute noch schwerer als zur DDR-Zeit". Dass ihm viele Widersacher von einst in "seiner Stadt" immer noch begegnen, lässt ihn ab und zu die Straßenseite wechseln. "Aber irgendwann", sagt er, "habe ich meinen Frieden damit gemacht". Und dass er "glücklich ist, dabei gewesen zu sein, als wir Geschichte gemacht haben". Auch wenn es "sich eigentlich nur so ergeben hat". Das Stehaufmännchen Es gibt niemanden, dessen persönliche Biographie derart mit den Wirren der Städtepartnerschaft verwoben ist wie die von Volkhardt Germer. 1987 wurde er Nachfolger des geschassten Karl-Heinz Dennhardt als SED-Vize-OB - wohl kaum, weil er sich durch kritische Distanz profiliert hatte. Seine erste Aufgabe war es, seinen Trierer Amtskollegen Schröer samt Ehefrau bei dessen Weimar-Besuch zu "betreuen". Zwei Jahrzehnte später sitzt er mit Schröer beim Frühstück, und die beiden Männer, die auch hätten Feinde werden können, unterhalten sich mit jenem ehrlichen Respekt, wie man es von Veteranentreffen einstiger Kriegsgegner kennt. Germer übernahm nach der Wende zunächst den Chefsessel im Rathaus, wurde 1990 durch einen Wessi-Import ersetzt, um dann Mitte der 90er Jahre per Bürger-Direktwahl wieder zum OB zu avancieren - inklusive triumphaler zweiter Amtszeit, und das alles als parteiloser Unabhängiger.Germer redet erstaunlich offen über die "ganz schlimme Gratwanderung" zwischen Partei-Räson einerseits und den wachsenden menschlichen Bindungen zu den Trierern anderseits. Das klingt nicht larmoyant, auch nicht, als er von der Angst erzählt, als Delegationsleiter beim Friedensseminar in Trier 1988 nicht mit allen seinen Delegierten zurückzukehren. Für die Trierer sei es "manchmal schwer zu begreifen gewesen, wie für uns die Spielregeln waren", sagt er. Aber "aufgrund ihrer Umsicht und Toleranz" sei die Partnerschaft nie abgebrochen worden.Vielleicht hat sich Germer deshalb später so konsequent hinter das Projekt gestellt - als die aufstrebende Kulturhauptstadt Weimar plötzlich auch für andere Städte ein begehrter Partner war. Er war nicht nur "amtlich" in Trier, auch mal mit dem Motorrad, oder zu einem Auftritt beim "Heuschreck", oder ganz privat. Und immer wieder gemeinsam mit seinem Kollegen Schröer. Sonst gäbe es die Städtepartnerschaft vielleicht längst nicht mehr. Der Knorrige "Der Germer ist eine ehrliche Haut". Wenn Rudolf Keßner das sagt, hat es Gewicht. Denn der 57-Jährige ist "anerkanntes Opfer des SED-Unrechts", wie er den amtlichen Sprachgebrauch mit ironischem Unterton zitiert. "Die einzige Video-Kamera, die es damals in ganz Weimar gab, war auf meinen Laden gerichtet".Grauer Vollbart, Sandalen, Stirnfalten, die sich kräuseln wie Rundfunk-Wellen: Der Mann sieht so aus wie die Grünen aussahen, als sie hierzulande erstmals in die Parlamente einzogen. Und tatsächlich: Er sitzt für Bündnis 90 im Weimarer Stadtrat, ob seiner knorrigen Beiträge gleichermaßen respektiert wie gefürchtet. Keßner war 1987 einer von 30 Oppositionellen in Weimar, selbstständiger Unternehmer und Inhaber der Firma "Stempel-Rabe", heute ein solider Mittelständler mit einem Dutzend Angestellten.Die sich anbahnende Partnerschaft mit Trier betrachtet er rückblickend als Glücksfall: "Sie war für uns eine Art Schutzschild". Kritische Weimarer Bürger hätten sich aufrichten können an der Perspektive einer Partnerschaft. Nach der Wende sei ihm "manches zu schnell gegangen angesichts des übergroßen Vereinigungseifers". Aber die Trierer hätten ihre Partnerstadt "immer in angenehmer und unaufdringlicher Weise unterstützt - wir hatten doch selbst keine Ahnung". Der Neue Seit Volkhardt Germer im Ruhestand ist, sitzt Stefan Wolf auf dem Chefsessel im Weimarer Rathaus, das mit seinen knarrenden Holzdielen wirkt wie ein Museum. Die Entwicklung der Stadt ist freilich alles andere als museal: Die Bevölkerungszahl wächst ständig - nicht nur im Osten eine Sensation. Als die Partnerschaft Trier-Weimar begann, war der neue OB noch ein aufstrebender Jung-Staatsanwalt in Berlin (West). Doch er kennt sich bestens aus: Dass Weimar "eine Modellstadt für den Aufbau in Thüringen ist, daran ist Trier nicht unschuldig". Wolf nennt Namen wie den früheren Trierer Baudezernenten Hans Petzholdt oder Ex-Stadtwerkedirektor Erwin Thisse, die bis heute in Weimar wirken. Und Helmut Schröer erinnert an die scherzhaft SED (Senioren-Einsatzdienst) genannte Truppe erfahrener Trierer, die Anfang der 90er Jahre in Weimar half, Infrastrukturen aufzubauen. Mit Folgen: "Wenn sie hier jemandem sagen, dass sie aus Trier kommen, werden sie immer freundlich begrüßt", erzählt der Lokalchef der Thüringer Allgemeinen, Michael Baar. "Trier ist und bleibt etwas Besonderes", schwärmt auch Hugo Lorenz, langjähriger Orchestervorstand bei der Weimarer Staatskapelle. Die Rettung Das Goethe- und Schiller-Archiv liegt in einem malerischen Anwesen oberhalb der Stadt. Der Leiter heißt Manfred Koltes und kam in den 90ern aus Trier nach Weimar. Als die Verhandlungen anno 1987 festgefahren waren und der Abbruch drohte, machten sich die Delegationen, angeführt von den kunstsinnigen Oberbürgermeistern Baumgärtel und Zimmermann auf Kultur-Tour zum Schloss Kochberg und eben hierhin, ins Archiv der Literatur-Größen. Serviert wurde die Ur-Schrift des "Faust". "Wir hatten Tränen in den Augen", erinnert sich Schröer. Zimmermann rezitierte im Liebhaber-Theater der Frau von Stein Goethe-Balladen. Das Abkommen wurde gerettet, vier Monate später, im September 1987, die Partnerschaft feierlich rat ifiziert.

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