Der Tod kam beim Deutsch-Unterricht

Trauer und Entsetzen: Nach dem schlimmsten Amoklauf, den das Land bislang erlebte, befindet sich Amerika imSchockzustand. In der Uni von Blacksburg/Virginia spielen sich dramatische Szenen ab.

Blacksburg. "Love never dies". "Die Liebe stirbt nie." Am Zaun, der den weitläufigen Campus der Technologischen Universität von Virginia in Blacksburg umgibt, hängen handgemalte Botschaften in Herzform und Blumengebinde. Es sind Abschiedsgrüße und letzte Gedanken an die 33 Toten, die am Montag dem bisher folgenreichsten Amoklauf der amerikanischen Geschichte zum Opfer fielen.Der Schock sitzt tief - auch angesichts der grausamen Details, die 24 Stunden nach dem Massaker häppchenweise an die Öffentlichkeit dringen. Gestern Nachmittag (Ortszeit) wurde US-Präsident Bush zu einem Trauergottesdienst in Blacksburg erwartet.Noch immer ist unklar, ob der mittlerweile identifizierte Täter - ein 23-jähriger, als Einzelgänger geltender Englischstudent aus Südkorea - einen Helfer bei den Vorfällen hatte, die sich an zwei verschiedenen Stellen des Universitätsgebäudes im Abstand von zwei Stunden abspielten. Doch woran es bereits keine Zweifel mehr gibt, ist die Kaltblütigkeit des Todesschützen, der in der "Norris Hall" - einem Ausbildungsbereich für angehende Ingenieure - seine meisten Opfer fand. Fast alle der 32 Opfer des Amokläufers, der sich schließlich selbst auch erschoss, starben dort. Viele verloren ihr Leben in einem Klassenzimmer, in dem ein Professor gerade Deutschunterricht gab. Die Studentin Erin Sheehan berichtet, wie sie das Blutbad in dem Zimmer überlebte: "Er sah ganz normal aus", beschreibt sie ihren ersten Eindruck vom Täter, "wie ein normaler Student". Doch die Normalität wich innerhalb von Sekunden dem Grauen. "Er zog eine Waffe und schoss dem Professor in den Kopf. Alle haben daraufhin geschrieen und sich zu Boden fallen lassen." Der Amokläufer begann nun, die Studenten mit einem Kugelhagel zu bedecken. "Ich sah, wie die Schüsse in die Körper neben mir einschlugen", berichtet Sheehan, "überall war Blut. Nach kurzer Zeit rührte sich niemand mehr." Sie habe sich daraufhin tot gestellt und sei am Ende eine von vieren gewesen, die in dem Klassenraum überlebt hätten. Diese Studenten verbarrikadierten dann die Eingangstür. Der Täter drang daraufhin in ein weiteres Zimmer ein, wo er die Studenten aufforderte, sich an eine Wand zu stellen. Dann begann er, sie zu exekutieren. "Alle Opfer hatten mehrere Schusswunden", sagt Dr. Joseph Cacioppo, der als Notarzt vor Ort war. "Dieser Kerl war darauf aus, jeden zu töten, dem er begegnete, und er tat dies sehr gezielt." Gesprochen habe der Schütze während seiner Bluttat kein Wort. Die Polizei ging gestern davon aus, dass mehrere in der Vorwoche eingegangene Bombendrohungen vom Täter initiiert wurden, um die Sicherheitsvorkehrungen auf dem Campus zu testen. Um ein Entkommen seiner späteren Opfer zu verhindern, habe der Todesschütze mehrere Ausgänge und Türen der "Norris Hall" mit Vorhängeschlössern und Ketten blockiert. Als es der Polizei schließlich gelang, zu dem Täter vorzudringen, nahm dieser sich das Leben. Bei dem Toten fand man zwei Waffen, bei denen die Seriennummern weggefeilt worden waren.Die Verantwortlichen der Universität geraten unterdessen immer mehr ins Kreuzfeuer der Kritik. Denn nachdem um 7.25 Uhr morgens in einem Wohnheim eine Studentin und ein Assistent erschossen worden waren, sah man zunächst keinen Anlass, die Universität mit ihren rund 25 000 Studenten zu evakuieren. Stichwort Amoklauf: Meistens verbergen sich hinter einem Amoklauf unbewältigte psychische Konflikte. Bei den Tätern haben sich nach Einschätzung von Experten Angst, Eifersucht, Scham oder Demütigung oft lange aufgestaut. Die Wut - das Wort Amok kommt aus der malaiischen Sprache und bedeutet Wut - wird unbeherrschbar. Fast alle Amokläufer sind männlich, häufig richten sie ihre Waffe auch gegen sich selbst und bringen sich um. Der typische Amokläufer ist nach Erkenntnissen von Polizeipsychologen eher unauffällig, er zeigt seine Gefühle nicht und neigt zu Selbstüberschätzung. Neben psychisch schon länger kranken Tätern gibt es auch Amokläufer, die aus banalen Gründen plötzlich "ausrasten". Oft handeln die Täter aus Rache und töten ihre Opfer wahllos.

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