Der Unberechenbare

WASHINGTON. Inspekteure der Wiener Atombehörde IAEO sind in Teheran eingetroffen, um die offiziellen Atomanlagen des Irans zu untersuchen. Dies verlautete aus Kreisen der Internationalen Atomenergie-Organisation. Derweil überlegen sich die USA neue Strategien, wie sie mit dem Iran umgehen sollen.

Es war an einem heißen Sommertag im vergangenen Jahr, als US-Präsident George W. Bush auf seiner Ranch in Texas eine Videokonferenz mit führenden Generälen und Pentagon-Offiziellen schalten ließ. Auf abhörsicheren Leitungen wurde nur ein einziges Thema diskutiert: Der Ablauf und die möglichen Auswirkungen eines umfassenden Militärschlags gegen den Iran. Die Strategie, die von den Planern im Verteidigungsministerium präsentiert wurde, sah mehr als nur Nadelstiche vor: Zunächst sollte die iranische Luftabwehr ausgeschaltet werden. Dann folgten Angriffe mit bunkerbrechenden Bomben und Marschflugkörpern auf die bekannten Nuklearfabriken und chemischen Produktionsstätten, auf Raketenstellungen, auf Militärbasen der "Revolutionsgarden" und auf Geheimdienstbüros. Offiziell wurde diese Tele-Konferenz, aus der beteiligte Pentagon-Mitglieder bei vertraulichen Gesprächen kein Geheimnis machen, nie bestätigt. "Wir planen keinen offensiven Militärschlag gegen den Iran", lautet seit langem die Sprachregelung im US-Außenministerium. Die Führung in Teheran über die Absichten bewusst im Unklaren lassen und den Druck durch UN-Sanktionen erhöhen - falls die Bush-Regierung diese Devise als Handlungsmotto im Atomstreit gewählt hat, so muss man sie bisher jedoch als gescheitert ansehen. Denn nach der Ankündigung des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadiendschad am Ostermontag, sein Land sei jetzt zur industriellen Produktion von angereichertem Iran in der Lage, hat der Konflikt nach übereinstimmender Einschätzung von Experten eine neue Dimension erreicht. Realität oder politischer Bluff?

Falls Teheran tatsächlich 3000 Zentrifugen in der Anlage Natans in Betrieb genommen habe und diese zuverlässig arbeiteten, würde dies nach Ansicht des früheren UN-Waffeninspekteurs David Albright ausreichen, um innerhalb eines Jahres genug Material für einen nuklearen Sprengkopf herzustellen. "Die Situation könnte dann eskalieren", sagt Albright. Allerdings gibt es Berichte, denen zufolge der Betrieb von bisher 328 Zentrifugen in Natans mit ständigen technischen Problemen behaftet ist - woran sich die Frage anschließt, ob die jüngsten Aussagen aus Teheran Realität oder nur ein politischer Bluff sind. Auffällig ist, dass offizielle Stellen in Washington die angebliche Inbetriebnahme von nun 3000 Zentrifugen und die Ausrufung eines "Feiertages der Nuklearenergie" durch Präsident Ahmadinedschad zwar als "unakzeptabel" und "weitere Verweigerung internationaler Forderungen" charakterisierten, eine bisher von US-Präsident George W. Bush mehrfach explizit gebrauchte scharfe Formel jedoch nicht zum Einsatz kam: Dass man eine nukleare Bewaffnung des Iran nicht hinnehmen werde. Stattdessen erfolgte der Hinweis, dass es nun das Potenzial für weitere Strafmaßnahmen der Vereinten Nationen gebe. Das könnte zum einen für interne Differenzen über das weitere Vorgehen sprechen, aber auch ein Indiz dafür sein, dass Washington in den nächsten Wochen bewusst eine zweigleisige Strategie fahren wird: Auf der einen Seite mit dem Versuch, die diplomatischen Daumenschrauben trotz vor allem russischen Widerstandes weiter anzuziehen - auf der anderen Seite mit dem Abwarten, ob es bei einer möglichen neuen Gesprächsrunde zwischen EU-Chefunterhändler Javier Solana und dem iranischen Vertreter Ali Laridschani doch noch zu einer Annäherung der Positionen kommt. Entscheidend dabei dürfte jedoch sein, ob westliche Vertreter und vor allem das Weiße Haus eine Kardinalforderung fallen lassen: Eine Aussetzung der Uran-Anreicherung als Grundbedingung für neue ernsthafte Verhandlungen. Viel Zeit für Fortschritte zwischen Solana und Laridschani bleibt jedoch nicht: Die letzten Sanktionsbeschlüsse der UN vom 24. März setzten Teheran eine 60-Tage-Frist zum Einlenken. Und damit wächst der Entscheidungsdruck für US-Präsident Bush.

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