Der ungebrochene Glanz früherer Jahre

TRIER. Auch 20 Jahre nach dem Ende seiner politischen Laufbahn sind die Anziehungskraft und die rhetorische Brillanz von Helmut Schmidt ungebrochen. Das demonstrierte er bei der Verleihung des Nell-Breuning-Preises.

Gespannte Erwartung in der Promotionsaula. Aus gut unterrichteter Quelle war schon im Vorfeld zu hören, dass es allerlei Gerangel um die 150 Plätze in dem langen, schmalen, traditionsreichen Saal gegeben hat. Wer sich umschaut, ahnt warum: Was immer in Trier Rang, Namen oder öffentliche Funktion hat, will diesen "herausragenden Tag für die älteste Stadt Deutschlands", wie OB Schröer werbewirksam formuliert, nicht verpassen. Man sieht dem OB den Stolz an, als er kurze Zeit später unter "standing ovations" mit seinem prominenten Gast in die Aula einzieht. Ein renommierter Preis ziert stets seinen Träger. Aber ein renommierter Preisträger ziert meistens auch den Stifter, in diesem Fall die Stadt und ihre Repräsentanten. Weggefährten und Konkurrenten

Auf einen Stock gestützt geht der Altkanzler durch die Reihen. Sein alter SPD-Weggefährte Karl Haehser ist mit dabei, ebenso wie der einstige politische Konkurrent Bernhard Vogel, dessen Laudatio den Rahmen einer Lobrede später bei Weitem sprengen wird. Ein persönlicher Händedruck von Bischof Reinhard Marx, dann stürzen sich Fotografen und Kameraleute auf Helmut Schmidt. Drei junge Schüler des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums spielen Bach. Überhaupt ist das FWG an diesem Tag neben dem Geehrten der zweite große Sieger, erwähnt doch fast jeder Redner den Umstand, dass sowohl Preis-Namensgeber von Nell-Breuning als auch Karl Marx Schüler dieser Traditions-Schule waren und gar in der gleichen Aula ihre Abiturzeugnisse entgegennehmen durften. Oberbürgermeister Schröer, leicht nervös angesichts der vielen Fernsehkameras, würdigt den Preisträger und hebt seinen "von hoher Sachkompetenz und tiefem Verantwortungsbewusstsein geprägten Einsatz für sozialen Ausgleich" hervor."Sittliche Verantwortung und Pflichtbewusstsein"

Protokollgemäß redet er Schmidt mit "Herr Bundeskanzler" an, obwohl die Amtszeit fast ein Vierteljahrhundert zurück liegt. Auch Ministerpräsident Kurt Beck verzichtet bei seinem Grußwort aufs traute Genossen-Du, wohl nicht einmal so sehr wegen des offiziellen Charakters der Veranstaltung. Einen Helmut Schmidt duzt man wahrscheinlich selbst dann nicht, wenn man stellvertretender SPD-Vorsitzender ist. Bernhard Vogel verteilt bei seiner Laudatio nicht nur Blumen, zeigt auch Differenzen zwischen dem Preisträger und dem Namensgeber des Preises auf. Er lässt die politische Laufbahn Schmidts Revue passieren, von der ersten Regierungserklärung "zwischen Karl Marx und Karl Schiller" bis zur Abschiedsrede im Deutschen Bundestag. Schmidt vereinige "hohe sittliche Verantwortung und preußisches Pflichtbewusstsein", sagt der CDU-Politiker. Bisweilen ufert die Rede aus, kennzeichnet mehr die allgemeinpolitischen Aussagen Vogels als die Rolle des zu Ehrenden. Offen bleibt Vogels spannende Abschlussfrage: Wie viel Ausstrahlungskraft eine rationale, sachorientierte Politik Marke Schmidt heute noch haben könne. Dann ist noch einmal der OB dran, verliest die Verleihungs-Urkunde. Helmut Schmidt legt die Hand ans Hörgerät, als Schröer von der "unmittelbaren geistigen Verwandtschaft" zwischen Oswald von Nell-Breuning und dem Preisträger 2005 spricht. Dann setzt er sich in entspannter Pose an einen vorbereiteten Tisch, um seine Dankesrede vorzutragen. In dem Moment, in dem Schmidt spricht, sind alle Anzeichen körperlichen Alterns vergessen. Immer noch rhetorisch brillant, kunstvoll mit Pausen und Betonungen jonglierend, liest er der Gesellschaft und den Politikern die Leviten. Glasklare Gedankengänge, prägnante Formulierungen liefern dem Publikum Stoff zum Denken.Preisträger warnt vor "Raubtierkapitalismus"

Seine Warnung vor dem Sieg eines unkontrollierten "Raubtierkapitalismus" bringt ihm spontanen Beifall ein, bei seinem nachhaltigen Plädoyer für Subsidiarität und eine vernünftige Finanzausstattung der Kommunen strahlen die Stadtratsvertreter, die in der ersten Reihe sitzen. Man würde neben der Stimme auch gerne Gestik und Mimik verfolgen, hätten sich nicht breitschultrige Kameraleute vor dem Altkanzler aufgebaut, die dem Publikum im Saal den Blick verbauen. Auch wenn die Stadt wenig Geld hat: Ein Beamer samt Bildschirm könnte bei der nächsten Auflage in zwei Jahren dafür sorgen, dass Veranstaltung für weite Teile des Publikums nicht zum Hörspiel wird.

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