Die Eltern haben keine Ahnung

TRIER. Es ist die liebste Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen im Internet: Chatten. Doch kaum einer weiß, dass die Gesprächsräume oder telefonischen Flirtlines mittlerweile ein Tummelplatz von Pädophilen sind.

Wenn alle Eltern wüssten, was ihre Kindern in den Chat-Räumen im Internet erleben - sie würden sie wohl nicht mehr vor den Computer lassen. Denn Chatten ist längst mehr als das Schwätzen oder Plaudern, wie der englische Ursprung des Wortes eigentlich nahe legt. In den Chat-Räumen lernt man sich kennen, es entwickeln sich Chat-Gemeinschaften, und die Anbieter schaffen immer komplexere Plattformen. Laut Jugendstudien gehört Chatten zu den beliebtesten Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen im Internet. Doch sie begeben sich in vielen Chat-Räumen, die nicht von einem Moderator beobachtet und gesteuert werden, in Gefahr. "Täglich werden Kinder und Jugendliche im Internet Opfer pädophil veranlagter Täter", sagt die Bremer Journalistin Beate Schöning, die die Internetseite kindersindtabu.de gegründet hat.Oft würden gerade für Kinder und Jugendliche vorgesehene Chaträume zur Falle. Genau dort warteten die Täter auf ihre Opfer, schreibt Schöning. Die Täter fragten die jungen Chatter nach ersten sexuellen Erfahrungen oder gäben sogar Anweisungen, sich vor dem Computer selbst zu befriedigen. "Vor zwei Wochen habe ich mit einem Jungen gechattet, der sagte, dass er zwölf sei. Der fragte mich, ob ich schon einen Busen und schon Haare an meinem Geschlechtsteil hätte", berichtete eine Elfjährige bei einer Befragung von Kinder und Jugendlichen des Internetangebotes jugendschutz.net.

97 Prozent aller pädophil veranlagten Täter bedienen sich des Internets, um Kontakt zu Kindern aufzunehmen, fand vor vier Jahren eine kanadische Studie heraus. Zwischen 70 und 79 Prozent der Eltern weltweit wissen nichts von dem, was ihren Kindern so im Netz begegnet, behauptet eine britische Studie. Die meisten Eltern ahnten nicht einmal, dass die "Chatfreunde" ihrer Kinder häufig Erwachsene sind, die aus "ganz bestimmten Gründen" den Kontakt zu ihnen suchen. "Meiner Freundin ist es passiert, das Leute aus dem Chat bei ihr Telefonterror machten. Ihr wurden auch mehrere Drohbriefe gesendet, dass sie wüssten, wo sie wohnt und sie bald abholen würden", erzählt eine 14-Jährige bei der jugendschutz.net-Befragung.

Häufig "mogeln" sich die Jugendlichen auch in Erwachsenen-Chats oder Flirtplattformen ein, in dem sie ein falsches Alter angeben. Diese Angebote gibt es nicht nur im Internet, auch über Telefon-Hotlines werden immer häufiger Kontaktbörsen angeboten. Friedemann Schindler vom Mainzer jugendschutz.net kritisiert, dass oft die Alterskontrolle gar nicht oder nur rudimentär vorhanden sei.

Solange die Minderjährigen nur chatten oder die Telefonhotlines unter Angaben falscher Daten missbrauchen, besteht "nur" die Gefahr, Opfer verbaler Sex-Attacken zu werden. Doch sobald sie sich mit der virtuellen Bekanntschaft auch treffen, kann es lebensgefährlich werden. Studien belegen, dass bei Kindern und Jugendlichen eine hohe Bereitschaft besteht zu realen Treffen mit den Chat-Partnern. Barbara Schöning berichtet von Fällen, bei denen solche Treffen schief gegangen ist: Eine Zwölfjährige steigt in Hessen ins Auto ihrer Chat-Bekanntschaft, sie wird mehrfach von zwei Tätern missbraucht. Eine Zwölfjährige aus Braunschweig trifft ihren wesentlich älteren Chatfreund aus Magdeburg und wird vergewaltigt. Zwei 14-Jährige sind nur knapp einem Familienvater entkommen, der Pornobilder von ihnen machen wollte.

Infos unter www.jugendschutz.net (dort ist auch die Broschüre "Chatten ohne Risiko" erhältlich) oder kindersindtabu.de.

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