Die Genossen ziehen mit

Berlin. Der Kanzler ließ keine Zweifel an seiner Entschlossenheit aufkommen. Die Agenda 2010, sagte Gerhard Schröder gestern im SPD-Bundesvorstand, sei die Arbeitsgrundlage dieser Bundesregierung. "Und wer mir diese entziehen will, der muss mit den Konsequenzen leben."

Nach einem weiteren Wochenende des Missvergnügens, das Vorschläge, Meinungen und Forderungen in Hülle und Fülle brachte, sah sich Bundeskanzler Gerhard Schröder am Montag im Parteivorstand zu einer Klarstellung in Sachen Agenda 2010 gezwungen: Ich gehe, wenn Ihr nicht mitzieht. Aber die Genossen ziehen mit, jedenfalls die große Mehrheit. Schröder war nach Angaben von Teilnehmern erkennbar bemüht, kein Öl ins Feuer zu gießen. Und so erlebten die rund 40 Vorständler einen gelassenen Kanzler, der sich seiner Sache einigermaßen sicher ist. Wichtig war ihm zudem, das neue SPD-Papier mit Namen"Iwan" (Innovation, Wachstum, Arbeit und Nachhaltigkeit) auf der Stelle umzutaufen. Schließlich war "Iwan der Schreckliche" der erste Zar Russlands, dessen Reformbemühungen im Desaster endeten. Die Vorschläge, unter Federführung von Generalsekretär Olaf Scholz entstanden, sollen nun "Wege zu einem neuen Fortschritt" heißen. Schröder nimmt sie offenbar nicht sonderlich ernst. Das seien "Arbeitsfelder", "Beiträge zur Debatte", allenfalls denkbar als perspektivische Ergänzung über die Agenda 2010 hinaus. Schröders Zurückhaltung ist verständlich, beinhalten die Überlegungen doch unter anderem Pläne zu einer "Neubewertung von Vermögen" (Erbschaftssteuer, Kapitalertragssteuer). Auch ein neues Hilfsprogramm für Langzeitarbeitslose und eine Abgabe für ausbildungsunwillige Betriebe sind im Gespräch. Für Agenda-Kritiker Ottmar Schreiner "positive Elemente", die aber nicht ausreichten. In die Agenda, die als Leitantrag auf dem Sonderparteitag der SPD am 1. Juni in Berlin beschlossen werden soll, sind die Ergebnisse der fünf eingesetzten Arbeitsgruppen "zur Präzisierung" der Vorschläge nunmehr eingearbeitet. Substanziell, so Schröder, sei die Agenda jedoch nicht berührt, und sie werde deshalb "vollständig" umgesetzt. Auch die über 300 Änderungsanträge der SPD-Kreisverbände sollen am Kerngehalt des Projektes nichts Wesentliches mehr ändern. Die Antragskommission tagte am Montag unter Vorsitz des SPD-Fraktionschefs Franz Müntefering bis in die Abendstunden. Keine Rolle spielten im Vorstand die Forderungen der Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis, die seit Wochen hartnäckig die Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer verlangt, "um die Sozialbeiträge zu senken und dadurch Arbeitsplätze zu schaffen". Am Ende stimmten fünf Vorständler gegen die Vorlage, zwei enthielten sich. Für Schröder ein Ergebnis, das ihn "sehr zufrieden" stellte. Großmütig gab er zwar zu Protokoll, dass es Okay sei, wenn jemand eine andere Meinung als der Vorsitzende vertrete; aber gleichzeitig fühlte er sich bemüßigt, die "berechtigte Erwartung" zu formulieren, dass dadurch die Regierungsfähigkeit der SPD nicht beeinträchtigt werden dürfe. Fünf Gegenstimmen seien jedenfalls keine Größenordnung, "dass man gleich Angst kriegen könnte". Unterstützung erhielt der Kanzler am Montag erneut vom grünen Koalitionspartner, dessen Führung keinerlei Probleme mit der Agenda 2010 erkennen ließ. Die Reformen dürften nicht aufgeschoben werden, sagte die Parteivorsitzende Angelika Beer nach einer Sitzung des Parteirats. Kritik in grundsätzlicher Form kam dagegen wie seit Monaten schon von der Opposition, die insbesondere "Iwan" als "schrecklich" bezeichnete (FDP-Vize Rainer Brüderle), weil es "Folterwerkzeuge" enthalte, um die Parteilinke zu beruhigen. Auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel nannte die angedachten Steuererhöhungen "das Gegenteil von dem, was Deutschland jetzt braucht". Derweil gingen am Montag 325 Künstler und Schriftsteller an die Öffentlichkeit und appellierten an den Bundeskanzler, die Agenda-Kritiker ernst zu nehmen. Notwendig sei ein "tragbarer Kompromiss".

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