Ein Begriff mit Langzeitwirkung

Vor fünf Jahren startete Bundeskanzler Gerhard Schröder die Reform-Agenda 2010. In der Rückschau wird deutlich: Wohl niemals hat eine Regierungserklärung solche Wirkungen entfaltet. Positive wie negative.

Berlin. Das Wort wurde von Kanzler Gerhard Schröder erst in letzter Minute in das Manuskript eingefügt: "Agenda 2010". Der Begriff war eine Idee seiner Gattin Doris. Eigentlich hieß die Überschrift: "Mut zum Frieden, Mut zur Veränderung", denn die Rede hatte, heute fast vergessen, zwei Teile. Einen zur internationalen Verantwortung Deutschlands, einen zur Notwendigkeit innerer Reformen. Am heutigen Freitag wird das Werk genau fünf Jahre alt. Das Reformwerk der rot-grünen Koalition führte letztlich zur Gründung einer bundesweiten Linkspartei. Heute ist der Umgang mit ihr das Hauptthema der aktuellen Innenpolitik. Schröder kostete seine Rede vom 14. März 2003 das Amt, denn bei den folgenden Landtagswahlen wurde die SPD rigoros abgestraft, und er musste 2005 vorgezogene Neuwahlen ausrufen. Bis heute sind viele Debatten direkt und indirekt von der "Agenda 2010" bestimmt, etwa wenn es um die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I geht, den Mindestlohn oder die Rente. Die Agenda wird dafür verantwortlich gemacht, dass der aktuelle Aufschwung so positiv auf den Arbeitsmarkt durchschlagen konnte. Aber auch für den Trend zu immer mehr prekären Arbeitsverhältnissen und zur Kinder- wie Altersarmut.

In der öffentlichen Diskussion wird die Agenda 2010 zumeist auf Hartz IV verkürzt. Dabei war das Gesamtpaket viel breiter. Der damalige Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier hatte das Konzept um Weihnachten 2002 herum in der Katholischen Akademie Berlin zusammen mit einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern entworfen. Es sah Einschnitte ins soziale Netz nach dem Prinzip Fordern und Fördern auf der einen Seite vor, auf der anderen Seite aber auch die Stärkung der Leistungsfähigkeit des Landes. Die Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung gehörte ebenso dazu wie der massive Ausbau von Ganztagsschulen. Eine Steuersenkung auf die heutigen Sätze von 15 bis 42 Prozent sollte Wirtschaft und Konsum ankurbeln, die Beendigung des Meisterzwanges Existenzgründungen erleichtern. "Entweder wir reformieren, oder wir werden reformiert", sagte Gerhard Schröder.

Er überspielte mit diesem Programm aber auch eigenes Versagen. Denn in seiner ersten Amtszeit hatte er sich an die bröckelnden sozialökonomischen Grundlagen des bundesdeutschen Wohlstandes nicht herangetraut. Auch der zweite rot-grüne Koalitionsvertrag, erst im Herbst 2002 verabschiedet, enthielt keine neue Richtung. Erst die einsetzende Wirtschaftskrise zwang den "Kanzler der ruhigen Hand" kurzfristig zum Handeln. Seine Partei beteiligte er nicht großartig an der plötzlichen Kursänderung - ein Fehler, der in der SPD bis heute nachhallt.

Viele Agenda-Gesetze, wie die Hartz-Reformen oder die Gesundheitsreform, wurden im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat im Detail formuliert, also gemeinsam mit CDU-geführten Landesregierungen. Insofern war die "Agenda 2010" am Ende das Werk einer breiten politischen Mehrheit. Nicht von ungefähr sagte Angela Merkel in ihrer ersten Regierungserklärung am 30. November 2005, Schröder habe mit dem Programm "entschlossen eine Tür aufgestoßen". Durch die sie selbst dann ging.

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